Mittwoch, 6. März 2013

DB-86 31 (Du bist meine neue Therapeutin)

31


Du bist meine neue Therapeutin. Du sagst, ich soll alles vergessen, hast aber einen Lebenslauf verlangt. Du sagst, ich erscheine hier in diesem kahlen Zimmer, dessen Möbel nur zwei Sessel sind, auf denen wir einander gegenüber sitzen, nur als Körper, als Körper, der ankommt, schwitzt, weil er zu spät aus der Straßenbahn ausgestiegen ist, weil er sich in Sicherheit gewiegt hat, weil er dachte, er würde noch zurechtkommen. Mein Körper ist rechtzeitig in die Straßenbahn eingestiegen, hätte noch genug Zeit gehabt, um sich deiner Ordination gemächlich anzunähern. Aber auf einmal habe ich bemerken müssen, daß ich eine (die einzig richtige) Station übersehen habe, weshalb ich überraschenderweise schnell gehen mußte, nach dem richtigen Weg fragen, mir Sorgen machen, daß ich nicht zur ausgemachten Zeit bei dir eintreffe. Daher der Schweiß.

Du fragst, ob ich Schmerzen habe. ja, ich habe Schmerzen. Das Übliche, der Kopf. Der Kopf schmerzt, wie so oft, aus unerklärlichen Gründen. Auf einmal ist der Kopfschmerz da, dann ist er wieder weg. Achte ich auf den Schmerz, ist er nicht da. Oder er ist mit äußerster Heftigkeit da. Manchmal, wenn ich zur Arbeit gezwungen bin, wenn ich eine Verabredung einhalten muß, nehme ich ein Apa oder auch ein Gewadal, selten zwei. Ich spüle die Tablette in mich hinein und warte darauf, daß sich der Schmerz beruhigt.

Du sagst, ich soll meinen Körper beobachten, soll darauf hinarbeiten, mich zu entspannen. Wie kann ich mich auf diesem Sessel, diesem Folterstuhl, entspannen? Es ist ein furchtbarer Sessel, der wenig Halt gibt, hart und glatt ist. Ich hätte mir hier einen komfortableren Sessel gewünscht, einen, wo das Entspannen leichter gelingt.

(Die Berliner Entscheidung, Residenz Verlag, 1984)

Siehe auch:

Kap. 1: 1, 2, 3
Kap. 2: 4, 5, 6
Kap. 3: 7, 8, 9
Kap. 4: 10, 11, 12
Kap. 5: 13, 14, 15
Kap. 6: 16, 17, 18
Kap. 7: 19, 20
Kap. 8: 21, 22
Kap. 9: 23, 24
Kap. 10: 25
Kap. 11: 26, 27, 28
Kap. 12: 29, 30
Kap. 13: 31, 32
Kap. 14: 33
Kap. 15: 34, 35, 36
Kap. 16: 37, 38, 39, 40
Kap. 17: 41, 42
Kap. 18: 43, 44, 45
Kap. 19: 46, 47, 48
Kap. 20: 49, 50, 51

***

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„...Dies ist der Versuch eines komprimierten Familienromans, zugleich ein Reisebericht, der an einen Ort führt, wo die Kriegsschäden an den Menschen und deren Behausungen noch unverhüllt sichtbar sind. Lena und Stefan, von den gegensätzlichen Seiten der Geschichte kommend, unternehmen, sich zwischen Überlebenden und deren Nachkommen bewegend, einen Versöhnungsversuch...“ (Klappentext)

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