Stummfilmzeit

Dienstag, 22. Februar 2011

0020 - BLATTWERK

Blattwerk in langsamer
Traurigkeit nacktgraue
Hühner ihr Hals wie meiner
stranguliert von Marillen
von gelber Freundinnen Quecksilber
in den Drahtgittern Schnüren
hockend Finsternis plötzlich
heraus amselgleich hüpfend
ins grüne Kugelgewirr in die Traubenhügel
plötzlich Verkehrung der Schuß
der des dünnen Körpers Erde
aufwirbelnd kündet jäher Liebe Zerfall

(10.7.1968)

Montag, 21. Februar 2011

0019 - STUMMFILMZEIT

was für ein sprachloses Licht welche
Eröffnung von Zeit abgespult surrender Faden

ich sehe ein gesprenkeltes Nichts sehe
Riesen Zwerge Lokomotiven Berge Schwalben

ich sehe sie zitternd zittern sehe Bewegung
ich sehe mich meinen aufgespaltenen

Leib wasserumspült lautlos erpreßte Antwort
auf Stimmungen eines sehr fernen Monds

(24.4.1968)

Sonntag, 20. Februar 2011

0018 - BEGRÄBNIS

hingegeben den Tanten mit roten hörigen Wangen
krebsverängstigten Tanten hingegeben den Onkeln
ihrer plattfüßigen Schleimbeutel-Ehe ihren Träumen
von Möpsen riesig kauernd auf Schrebergartendächern

hingegeben den Cousins und Cousinen die lachend
der Geruch von Kirchtürmen Pfarrämtern Friedhöfen
in befremdliche Spiele treibt hingegeben
der Mutter die vom fetten Thron ihres Sitzfleisches herab

von ihren verwachsenen Begierden herab jetzt
ausstößt durch Schleier verdumpfte Kommandorufe
dem Vater aussetzend mit Gleichmut die blutig
gewetzte Stirn dem heißen Wind der Erinnerung

an einstige Siege über Lehm Halme und Kröten
hingegeben den Tanten Onkeln Cousinen Cousins der Mutter dem Vater
und doch ihnen allen entzogen auf immer der schmale
Leib der zungenübergeiferte verwandtenzersetzte

Trauerbreileib des Knaben der überfloß ausfloß
über den steiftrunkenen Aufstieg der Sargträger
über schwarze Hüte kahle Häupter Fahnen und Rosenkränze
ausfloß aussickerte in alle erschlafften Adern mit seiner vermeintlichen

Jugend in alle verwelkten Herzen und Jahre
lähmend gewohnte Gewöhnlichkeit jeden Atemzug:
glühende lidschlaglange Gewißheit einer jederzeit
möglichen ungeheuren Steigerung dieses Totensommers

(April 1968)

Samstag, 19. Februar 2011

0017 - IM ZEITMATSCH

das ganze Zeitalter mit seinen wenigen
Großen unter der Kruste der Regens
beim Auftreffen gefrierend

darüber gehn Leute
sommerlich gekleidet
einbrechend sagen sie

der leichte Schmerz in den Knöcheln
hat nichts zu bedeuten wundlos
und warm gleiten wir nachhaus

(April 1968)

Donnerstag, 17. Februar 2011

0016 - MOUCHETTE

hielt ihn das Mädchen zitternd
das schaumbedeckte wie er
vom Meerschaum Waldschaum Nachtschaum

hielt ihm den Kopf geschüttelt
von der Hand eines fernen Trommlers
durchblitzt vom Stimmbruch

zerschnitt sein Auflachen Zartheit
jäh aufstand aus Epilepsie doppelte
Trunkenheit Hornpaar des Stiers

durchbohrte des Mädchens Flucht
an der Feuerstelle auf heißer Asche
knackend frisches Reisig

(April 1968)

Mittwoch, 16. Februar 2011

0015 - ANSCHEINEND ABSCHIED

im knischend schillernden Strumpf
aufstampft das schwarzhaarige Frauenbein
die Haare stechen durch der Stöckel durchbricht
des Kiosks fünffachen Spiegel Annabelles
Schönheit hier aufgeschmolzen als ferne Erregung
des Partners unverkäuflich im Sinn weder
Speichel noch Handschweiß mit ‚nie mehr wiedr’
und ‚nstrengn gnu’ und ‚ngst’ und ‚msnst’


(April 1968)

Dienstag, 15. Februar 2011

0014 - MEIN METRONOM

schlägt mein Metronom
seh ich einen Mann nicht größer
als mein Ohr eine Riesenmuschel
die pulst und rückgekoppelt
Erregung hervorruft dämpft
seh ich einen Reiter
auf einem Pendel der es
verzögert beschleunigt

(April 1968)

Montag, 14. Februar 2011

0013 - DIE TOTEN DICHTER

an ihren papierenen Zungen
die toten Dichter zappeln
die schwarzen fliegenden
Leiber nun aufgeblasen
von grausamem Unverständnis
von der Ruhmsucht der Hinterbliebenen
zu lächerlicher Übermenschlichkeit:
wie leicht das eigene Nichts
zwischen die Zeilen zu pressen
zu sagen ihr Blut was wir saugen
ihr Fleisch was wir kauen noch einmal
erleben wir sie zeugungsfähig in uns

(April 1968)

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