e.a.richter : Rubrik:Wiener Blut
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2015-05-07T12:05:17Z
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2000-01-01T00:00:00Z
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0156 - HEILIGES MOZAMBIN
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Heiliges Mozambin, <br />
komm herab, <br />
senk meinen Puls, <br />
töt mein Gehirn ab, <br />
laß mich meinen Folterschweiß vergessen, <br />
erhör mich, <br />
schenk mir einen alptraumlosen Schlaf. <br />
<br />
Ich kann meinen Wachatem nicht mehr hören, <br />
meine Lüsternheit verstimmt mich, <br />
meine Ohnmacht kränkt mich, <br />
meine Unwissenheit läßt mich verzweifeln. <br />
Während der Magen grunzt, bauen sich Szenen auf, <br />
die ich tatsächlich erlebt haben könnte, <br />
zeigt sich meine Ethik <br />
in ihrer verquälten Verdorbenheit: <br />
Es gibt kein Entkommen <br />
in den Spalt zwischen den Wirklichkeiten. <br />
Während sich der Wadenmuskel endlich entspannt, <br />
brennt meine Lust am Chaos weiter, <br />
mein Glaube an die Selbstregulierung jeglichen Bemühens. <br />
Dein Monatsblut lähmt mich, <br />
dein Schweigen erstickt mich, <br />
meine ungenauen Ungerechtigkeiten <br />
stilisieren sich zu einer paradoxen Schuld. <br />
Trotzdem lasse ich alle anderen Frauen <br />
hinter meinen Schultern herankommen: <br />
Sie sollen mich fotografieren, massieren, <br />
in weiche Stoffe einhüllen, unentwegt küssen. <br />
<br />
Heiliges Mozambin, <br />
komm herab, <br />
schenk mir einen Traum <br />
von der einzig möglichen Gemeinsamkeit: <br />
vom niederfahrenden Geist, der allen zugleich <br />
Vertrauen einflößt, sie kurzschließt <br />
zu einem einzigartigen gemeinsamen Orgasmus <br />
unterm herabstürzenden Mond. <br />
<br />
(Mi.30.12.1981, Mitternacht)
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2014-06-22T11:00:00Z
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0155 - DIE NEUEN BARBAREN
http://earichter.twoday.net/stories/0153-die-neuen-barbaren/
Sechs Jahre nach dem Putsch<br />
ist die Gewalt in Gesetze gegossen,<br />
ist das Unrecht institutionalisiert.<br />
Soziale Markwirtschaft heißt:<br />
uneingeschränkte Freiheit der Unternehmer,<br />
bedingungslose Öffnung für ausländische Investoren,<br />
Aufhebung aller Schutzzölle,<br />
Reprivatisierung aller öffentlichen Dienstleistungen,<br />
freies Spiel der Preise bei fixem Lohn:<br />
was entwickelt war, wird wieder unterentwickelt<br />
für Monokulturen, für den Weltmarkt,<br />
für die Ausplünderung aller Rohstoffe.<br />
<br />
Sechs Jahre nach dem Putsch<br />
häufen sich die Sprengstoffanschläge:<br />
aber neben den zerfetzten Leibern der Miristen<br />
liegen griffbereit Dokumente<br />
mit dem Hinweis auf künftige Attentate, <br />
Legitimation der Junta<br />
für das neue Antiterrorismus-Gesetz:<br />
jede Handlung gegen die soziale Ordnung,<br />
gegen die guten Sitten, gegen Personen<br />
oder gegen das Eigentum<br />
beweist die Illegalität einer Vereinigung.<br />
<br />
Sechs Jahre nach dem Putsch<br />
wird auch Schluß gemacht <br />
mit den Gemeindegründen der Indios: <br />
parzelliert und privatisiert<br />
treibt es die Mapuchen, die sich verschulden müssen,<br />
in die Hände der Großgrundbesitzer<br />
deutscher Herkunft.<br />
<br />
Sechs Jahre nach dem Putsch<br />
steht auf ehernen Sockeln die Militärmacht,<br />
unterm Beifall der Welt.<br />
<br />
(11.9.1979)
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2014-06-06T11:00:00Z
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0154 - OFENSPIELE
http://earichter.twoday.net/stories/0154-ofenspiele/
Als weißgrauer Rauch<br />
aus dem Schornstein drängt<br />
gegen den grauschwarzen Himmel,<br />
kommst du und sagst: Rübezahl,<br />
<br />
meinst meinen Riesenschatten<br />
auf der gekalkten Wand,<br />
deinen kleinen daneben<br />
belächelnd.<br />
<br />
In meinem flachen Kopf<br />
ist ein langer, atemloser Moment,<br />
während sich das Bild<br />
im Sucher von selbst auslöscht,<br />
<br />
während sich das gelbe Licht<br />
aus der Küche<br />
auf den unsichtbaren<br />
Film schmuggelt.<br />
<br />
Ihr drinnen vorm Ofen<br />
bückt euch übereinander,<br />
Vielfüßler, zuckende,<br />
und laßt voneinander nicht ab,<br />
<br />
bis alles geklärt ist:<br />
warum wir nicht sprechen dürfen,<br />
wer welche Sätze ausschneidet<br />
aneinanderreiht nach welchen Gesetzen,<br />
<br />
wie dann die Zufallsgeschichten<br />
auf den einzelnen Blättern zu deuten sind,<br />
weitergehn anstelle<br />
weiterer tödlicher Nachrichten.<br />
<br />
(21.9.1979)
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2014-06-02T11:00:00Z
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0153 - FLURBEREINIGUNG
http://earichter.twoday.net/stories/0151-flurbereinigung/
Runter von der Autobahn<br />
raus aus dem Auto hin<br />
zum Kraterrand rein<br />
in die Kiesgrube, dort<br />
hört die Geldwirtschaft auf:<br />
bezahlt wird mit Bons<br />
im Zentrum für Herz und Nieren,<br />
für feste und flüssige Alternativen,<br />
mit Schlamm unter den Füßen,<br />
Schlamm an den Leibern,<br />
bis die Hunde kommen,<br />
sich totlecken umsonst.<br />
Wieder raus aus der Grube,<br />
ausruhn im Chaos der Gruppen,<br />
flanieren, warten<br />
auf die Bühnenereignisse.<br />
Doch die Ansager sagen,<br />
daß keine Ansagen mehr<br />
angesagt werden können,<br />
Bauern sind im Anmarsch<br />
zu ihren Feldern, sitzend<br />
auf ihren Mähdreschern<br />
verweigern sie jede Diskussion,<br />
decken Lärm und Kot<br />
zu mit Stroh, zündens an<br />
zur Flurbereinigung,<br />
seelenruhig voll Wut.<br />
<br />
(24.8.1979)
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2014-05-30T11:00:00Z
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DZL-04 - ZU MEINER ZEIT
http://earichter.twoday.net/stories/0152-zu-meiner-zeit/
zu meiner Zeit war gar keine Zeit.<br />
Die Zeit hatte sich noch nicht losgelöst,<br />
lag ungelöst in einem dunklen Raum,<br />
ungelöst in den Gläsern, die ich noch<br />
<br />
leer trinken würde, schwebte in Rauchringen,<br />
die ich den andern mit meinem langen Atem <br />
gestohlen hatte. Ich stand vor der Zeit,<br />
ohne sie als eigene zu erkennen. Fremde Zeit<br />
<br />
umgab mich, chancenlos festgenagelt,<br />
nicht betrunken, nicht berauscht, <br />
nicht niedernikotinisiert, nicht wissensgeil,<br />
in keiner Therapie, in keiner auch nur <br />
<br />
ansatzweise erträglichen Lebensform. <br />
Zu meiner Zeit war alles ein lausiger Entschluß, <br />
inmitten eines Blütenmeers am Blumentag, <br />
der diese Zeit nie verlassen würde<br />
<br />
außer mit einer überraschenden Explosion. <br />
Zu meiner Zeit war keine Zeit zum Studium <br />
von Geschlechtsteilen, niemand bot dergleichen feil. <br />
Sowohl Ziehharmonikabeherrschung als auch <br />
<br />
fleißigster Besuch von Tanzschulen führte <br />
vom Umweg des Frauenkörperporträtisten <br />
nicht weiter als zum Schaum auf den Lippen <br />
anderer, Mädchenlippenschaum, der sich nicht <br />
<br />
herunterküssen ließ an solch schäumenden Tagen. <br />
Jede Bemühung zu meiner Zeit verschlug mich<br />
in die Annäherung an das Jetzt: zu den nackten <br />
Tatsachen einer Unzahl zeiterschöpfter Uhren<br />
<br />
(2013)<br />
<br />
(Erschienen in: <a href="http://www.amazon.de/zarte-Leib-E-RICHTER/dp/3902951125/ref=sr_1_1?s=books&ie=UTF8&qid=1430998757&sr=1-1&keywords=e+a+richter+der+zarte+leib">Der zarte Leib, Edition Korrespondenzen, 2015</a>)
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2014-05-24T11:00:00Z
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0151 - ICH ZEUGER
http://earichter.twoday.net/stories/0151-ich-zeuger/
Verwundbar wie in den besten<br />
Zeiten der Vorvaterschaft<br />
erschein ich schon wieder<br />
in deiner unauslöschlichen Rede<br />
als ungeahnt potenter Nachkommen-<br />
Zeuger, weißbärtig, ohne<br />
Haupthaar inmitten einer Schar<br />
sich im Schlaf wälzender Kinder.<br />
Da ließe sich ruhn, später,<br />
ohne Gewissensbisse, ohne<br />
Uneinigkeit mit sich selber.<br />
Du pochst auf deine Gesundheit<br />
und Kraft, dein Recht<br />
auf Schwangerschaft, Wiederholung <br />
der Kindheit mit anderen Vorzeichen,<br />
auf eine künftig erfüllte Zeit.<br />
Meine Widerrede bleibt stumm.<br />
Ich geh jetzt nicht schlafen, setz<br />
auf die roten apokalyptischen Reiter,<br />
im Fernsehn, für mich ganz real.<br />
<br />
(12.7.1979)
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2014-05-20T11:00:00Z
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0150 - BRENNESSELFELD
http://earichter.twoday.net/stories/0149-brennesselfeld/
Im Brennesselfeld<br />
neben dem Steinbruch<br />
überraschend der Anfall<br />
des Asthmatikers.<br />
<br />
Vom Kirschbaum<br />
auf dem Weinberg herab<br />
betracht ich die Verjüngung<br />
seiner spitznäsigen Freundin,<br />
<br />
als er sich vor Schmerz<br />
auf den Findlingen windet.<br />
Die überreifen Kirschen<br />
prasseln zu Boden,<br />
<br />
beflecken alles.<br />
Von der Mülldeponie<br />
weht ein Faulgeruch her.<br />
Ich bleibe, die andern flüchten.<br />
<br />
(13.7.1979)
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2014-05-16T11:00:00Z
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0149 - RECYCLING
http://earichter.twoday.net/stories/0149/
Eine Steckdose<br />
in jeder Hundehütte, <br />
das ist Fortschritt.<br />
Trotzdem - der Hund<br />
riecht den Haschischknochen:<br />
regulierte Anarchie,<br />
<br />
dezentralisierte Einheiten,<br />
Recycling ohne Heldenkult<br />
im Neandertal, keine Konkurrenz<br />
der Windmacher, keine<br />
pharaonische Beschneidung,<br />
keine Angst vorm Streicheln.<br />
<br />
Und brennend aktiv <br />
mit gefilterter Wut <br />
gegen die Polizistenstiefel<br />
über den stockenden Fluß<br />
aus Öl hinüber in den Wald,<br />
zur Graswurzelwerkstatt.<br />
<br />
Aktiv als Triebtäter,<br />
mit dem Stimulans der Vision<br />
einer allumfassenden Koalition <br />
gegen Kirch- und Reaktortürme,<br />
mit dem zweischneidigen Messer<br />
der Zukunft, herzverstärkt.<br />
<br />
(23.8.1979)
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2014-05-13T11:00:00Z
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0148 - COMPUTERTOWN
http://earichter.twoday.net/stories/0150-computertown/
Computer erigieren sich<br />
in jedes Wohnzimmer: alles<br />
wird abrufbar gegen Lohnabzug,<br />
jeder Abruf registriert mittels Code<br />
im Speicher der Zentralen Friedenssicherung.<br />
<br />
Draußen die schwarzen<br />
Armbinden sind eine Provokation,<br />
die Straßenbahnen fahren leer, Fußgänger<br />
demonstrieren kurz für die Zweite Gesellschaft,<br />
halbdunkler Untergrund ohne Bewaffnung. Trotzdem <br />
<br />
die Polizei kocht Kaffee <br />
und Würstchen vorm Haus, stellt<br />
einen Hochstand hin, beobachtet das Wachsen<br />
des Grases. Und weit weg, im Hochsicherheitstrakt,<br />
lagern die Herzschrittmacher der inzwischen toten Rebellen.<br />
<br />
(22.8.1979)
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2014-05-10T11:00:00Z
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0147 - GEWITTER
http://earichter.twoday.net/stories/843565169/
Während droben auf den Kahlenberg<br />
ein Gewitter niedergeht, die grellgrünen<br />
Bäume Widerstand üben, seh ich meinen Vater<br />
noch immer im sterilen Gang der Heilanstalt,<br />
kaltes, graubraunes Essen schlürfend.<br />
<br />
Als wir mit gestohlenen Blumen auftauchen,<br />
schläft er mit offenem Mund, und sie sagt:<br />
du denkst nur an deine Zukunft; und sie sagt:<br />
noch immer beschneidest du meine Freiheit; <br />
und sie sagt: selbst mein Psychiater lacht über dich.<br />
<br />
Jetzt sitzen wir kauend zwischen Kerzen. <br />
Und sie sagt: Zum Verdauen braucht mein Magen <br />
völlige Stille. Und sie sagt: Meine einzige <br />
Hoffnung ist der neue Mann in Berlin.<br />
<br />
Draußen trocknen die Blätter. Sonne bricht durch,<br />
die Wiese glänzt durch die Scheiben.<br />
Die Erde reißt auf, im Mälstrom unter mir<br />
leuchtet versteinert mein Vater. <br />
<br />
(8.7.1979)
e.a.richter
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2014-05-07T11:00:00Z
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0147 - BAHNFAHRT
http://earichter.twoday.net/stories/0147-bahnfahrt/
Wie sehr sie sich bemühten, den wahren Augenblick zu entdecken:<br />
wach und eindeutig umgrenzt sind die Leiden<br />
<br />
an allen Zwangsbeschäftigungen zum Überleben.<br />
Das kleine Land als Plattform ist abschüssig,<br />
<br />
als Terrain nur passend für Schifahrer und Musikanten.<br />
Der zornig traurige Mann ist künstlich entschärft,<br />
<br />
die nur sonntags einsichtige Frau völlig gestreßt,<br />
schwankend zwischen Männerhaß und zärtlicher Nervosität:<br />
<br />
herantretend ergreift sie seinen Österreicher-Schwanz<br />
und denkt zwangshaft an die Erstickungsanfälle ihrer Jugend,<br />
<br />
die Pfropfen Menstruationsblut, das Fädchen zwischen den Beinen,<br />
an das nie endende Gelächter ihrer Freundinnen.<br />
<br />
Was brennt da draußen in der Ebene? Flache Grünflächen,<br />
Fackeln an allen vier Windecken, in deren Mitte<br />
<br />
ein Kind schreit, tröstliches LIFE-Produkt.<br />
Die Waggons schaukeln und rauschen,<br />
<br />
die unruhige Mutter versteckt ihr Gesicht in der Zeitung,<br />
und bei der Tür die Pendler, die sich oft schneuzen,<br />
<br />
saugen die Landschaft gleichgültig auf. Mein Schmerz<br />
in den Fingerkuppen in Erwartung der Frauengesellschaft.<br />
<br />
(15.6.1979)
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2014-05-04T11:00:00Z
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0146 - DAMALS UND JETZT
http://earichter.twoday.net/stories/0146-damals-und-jetzt/
Eine einzige Nacht damals in der Höhle des D. J.,<br />
als vermeintlicher Sympathisant, in seinem feuchten Bett,<br />
<br />
mit Blick auf die Glasscheibe in der Tür,<br />
im Ohr die fremden aufreizenden Geräusche, und überall<br />
<br />
der Schmerz über die schnelle Verschlechterung,<br />
das nicht zu verhindernde Ausgestelltsein meines Lebens:<br />
<br />
Gesucht wurde ich von den Hausparteien, von der Ehefrau,<br />
den Schwiegereltern, aber auch von der Polizei <br />
<br />
seit dem tatsächlichen Absprung, seit dem Rausschmiß,<br />
seit der langsam vorbereiteten Ablösung,<br />
<br />
seit dem ersten Tritt auf die Himmelsleiter,<br />
seit der Affäre, die allen ihre Nerven gekostet hat,<br />
<br />
seit dem pausenlosen Allen-in-den Rücken-Fallen,<br />
seit der Großen Verantwortungslosigkeit,<br />
<br />
seit dem unverständlichen Rückschritt in die Pubertät,<br />
seit dem Gesamtaufbruch ins Kriminelle.<br />
<br />
Jetzt schraube ich noch immer eine passende Platte vors Glas,<br />
dichte die Tür ab, hole den Bücherkoffer, kaufe Bettzeug,<br />
<br />
erzeuge den geistlosesten Widersinn von Wohnlichkeit,<br />
erstatte Vollzugsmeldung, flüchte zum nächstbesten Freund.<br />
<br />
Mit mir wandert die Platte, wird umfunktioniert zum Tisch<br />
im Vorzeigezimmer fürs Pflegschaftsgericht,<br />
<br />
inmitten einer Schar von Grünpflanzen, die nicht verdursten,<br />
trotz ihrer apokalyptischen Leiden. Im Traum klagen sie <br />
<br />
über meine Herzlosigkeit, bedrohen mich<br />
mit ihrer Mordmethode: sie verstopfen alle Zu- und Ausgänge,<br />
<br />
dringen von überallher in mich ein,<br />
besetzen mich, machen mich zu ihrem Erstbesitz.<br />
<br />
(10.6.1979)
e.a.richter
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2014-04-27T11:00:00Z
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0144 - ELFI
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Elfi, Kunstfigur<br />
aus der wirklichen Hanni K.<br />
und der wirklichen Gabi M.<br />
(und den Erinnerungsfetzen<br />
<br />
an so viele Mädchen in ihrem Alter,<br />
auch den theoretischen Anforderungen<br />
an gleichaltrige, vielleicht auch ein wenig<br />
ältere und den scheinbar fixen<br />
<br />
Regeln einer Kraft-Dramaturgie),<br />
zwingt mich zu einer Bahnfahrt<br />
nach Wien, zum Tatort.<br />
Doch die Cassette mit ihren Stimmen<br />
<br />
kann ich dort nicht hören:<br />
untergehend in der leeren<br />
Wohnung, im Widerhall<br />
in den Küchenkästchen.<br />
<br />
Im Zug die Trauben essende Frau,<br />
die glockenhell auflacht.<br />
Elfi muß so groß sein wie sie, <br />
so kräftig, doch ernst.<br />
<br />
Sie balanciert an der Grenze<br />
von weiblicher Banalität und Auflehnung.<br />
Sie kennt die Glanzlichter der Erfahrung<br />
von zehntausend Sechzehnjährigen.<br />
<br />
Mein verwischtes Spiegelbild vor mir<br />
überlegt sich eine heftige Liebe.<br />
Aber der Zug hält, ehe sich ihr Körper<br />
plastisch und schmerzhaft zusammensetzt.<br />
<br />
Zwei ziemlich beschwipste junge Frauen<br />
allerdings bugsieren mich in ein Auto,<br />
fahren mich ohne irgendein Wort<br />
zum nächsten Hotel.<br />
<br />
(14.7.1979)
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2014-04-24T11:00:00Z
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0143 - UNDOGMATISCHE TRAGÖDIEN 2
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Als schöpferischer Subjektivist<br />
in der Dramatik des historischen Augenblicks<br />
gurgle ich stets mit einer feinen Mischung<br />
aus IRRATIONAL INSTINTKIV ARCHETYP CHAOS,<br />
vermengt mit einer Prise ORDNUNGSPLANFORM:<br />
so entsteht kinderleicht die Methodik<br />
des Instrumentariums und das Instrumentarium<br />
der Methodik. Trotzdem unter Zwergen sitzend,<br />
mit notgedrungen deformiertem Rückgrat,<br />
seh ich meinem eigenen langsamen Dahinsterben<br />
mit größtem Interesse zu.<br />
Ohne der Süßlichkeit dieser Idylle zu verfallen, <br />
noch ungewiß über das Ausmaß der neuen Leibeigenschaft<br />
staatlicher Zwangsbeglückungsmaschinerien,<br />
stets auslotend die Vielfalt des Schicksals weiß ich:<br />
empört und irritiert wähl ich stets<br />
die Freiheit als Elexier der Vitalität,<br />
und die geometrische Epidemie überleb ich,<br />
überwinternd in der Brunnentiefe<br />
meiner zutiefst sprachlichen Existenz.<br />
<br />
(mit Worten von Wolfgang Kraus,<br />
entnommen einer Broschüre der Industriellenvereinigung)<br />
<br />
(11.7.1979)
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2014-04-19T11:00:00Z
-
0142 - UNDOGMATISCHE TRAGÖDIEN 1
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Ich kreativ konservative sagen wir: Persönlichkeit<br />
gedeihe nur auf dem Humus des Humanismus.<br />
Aus gutem altem Holz, aber stets bereit<br />
zur Veränderung bleib ich<br />
bei meiner guten alten Taschenuhr.<br />
Sie tickt mir die Zeit genausogut<br />
wie der gute alte Holzwurm.<br />
Als wiederbelebter Christ tret ich auf<br />
gegen die Zeloten mit dem Maschinengewehr,<br />
gegen die Brutalpolitsportler, trotz allem<br />
behaftet mit der starken Potenz aktiver Geduld.<br />
Benediktisch gesagt: lieber<br />
die Verhinderung des Feuers <br />
als das Feuer, lieber der wahre<br />
Held als der falsche, lieber<br />
die Deeskalation als der Skandal.<br />
Säend mit beiden Händen, in der einen<br />
das gute sozialistische Christliche,<br />
in der andern das sozialistisch christliche Gute:<br />
es gibt keinen Dritten Weg.<br />
Ich sagen wir: David,<br />
mit den schillernden Goethe-Worten im Mund,<br />
stürz mich hinaus ins weite Land,<br />
evolutionistisch aufs Böse, hau<br />
mich drauf auf die schon lang<br />
immunisierte Leich, aufs Bürgertum,<br />
spritz meine Potenz als Besserwisser<br />
aus allen Poren, hoffend,<br />
am Horizont erscheint, absolut,<br />
in den natürlichen Grenzen der Freiheit,<br />
hinterm Goldenen Kalb endlich<br />
der Schatten des Goldenen Zeitalters.<br />
<br />
(mit Worten von Ernst Wolfram Marboe,<br />
entnommen einer Broschüre der Industriellenvereinigung)<br />
<br />
(11.7.1979)
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2014-04-16T11:00:00Z
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