e.a.richter : Rubrik:Zahl und Gesicht
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2013-04-26T15:11:48Z
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2000-01-01T00:00:00Z
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0012 - DIE SCHÜLER
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Die Schüler, blaß, auf die Ferien wartend, unsicher lächelnd, <br />
erbost über verwechselte Hände, fallen übereinander her<br />
und stopfen den Rest in die Schultaschen. Puppeninneres<br />
entrieselt diesen zuhaus: sie werfen sich jubelnd darauf<br />
und fliegen, Stäubchen ein jeder, fliegen unglaublich <br />
schnell, lachend über das Los ihrer Väter (die Väter sind <br />
jünger als sie) schnell in den Schoß der Lehrerin, der nun <br />
nur Schürze, naß vom Weinen, behende über die Tafel wischt,<br />
auslöscht das letzte anstößige Zeichen. Im Dunkel sitzend, atemlos, <br />
fast glücklich, warten sie auf ihren Schmetterlingssommer.<br />
<br />
(Juni 1967)
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Zahl und Gesicht
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2011-02-13T12:00:00Z
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0011 - AM STRAND
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Eine mutwillige Brise<br />
empört die lächelnde Fläche:<br />
Lichtstreifen, schnell ermüdend,<br />
marschieren über den Sandhang.<br />
<br />
Unken echoen. Kinder schrein<br />
aus rot- und gelbgeschwollenen Rümpfen.<br />
Entblößt, die Mutter suhlen sich gleichgültig<br />
in ihrer braunen glitzernden Schönheit.<br />
<br />
Schwarz, bald ist mein Kopf<br />
vollgesoffen<br />
mit glührotem Metall;<br />
stürzt jäh ab<br />
<br />
in die grüne schwebende Masse,<br />
die weiß und begehrlich aufspritzt:<br />
Zischend schießt nun ein Boot<br />
hin zu den Kindern als letzte Rettung.<br />
<br />
(Juni 1967)
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Zahl und Gesicht
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2011-02-12T12:00:00Z
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0010 -DIE WIRTIN
http://earichter.twoday.net/stories/die-wirtin/
1 <br />
<br />
Hinter der zugefallenen Tür<br />
mag ein zugefrorener Teich sein,<br />
darauf etwas Spitzes, tanzend.<br />
<br />
Die Wirtin kehrt bald zurück,<br />
in den Augen grüne Scherben,<br />
im Mund den Aufprall von Flaschen.<br />
<br />
Das Geld, das sie reicht, trieft<br />
von verborgenen, tiefen Schnitten.<br />
Ihre blaue Brust ist höher geworden.<br />
<br />
Die Rehböcke ihrer Träume<br />
erscheinen plötzlich, fragend;<br />
den Arbeitern glaubt sie nichts.<br />
<br />
2<br />
<br />
Das aufgehäufte Fleisch,<br />
das ihr hier seht, <br />
wird niemals meins sein!<br />
Dieses kleine Mädchen<br />
ein fahles Stück Mutterhaut<br />
mit roten, wässrigen Augen:<br />
zu schwer für mein Leben.<br />
Ich schüttle die Flaschen,<br />
bin mit dem Schillern und Platzen <br />
von Blasen zufrieden, mit dem, <br />
was mir entgleitend zerschellt.<br />
Die Splitter mögen euch zeigen,<br />
wie Blut mich treibt und beweibt.<br />
Das Mädchen trollt sich,<br />
verschwindet im Fett einer Mutter.<br />
Ich bleibe schlank, gläsern!<br />
Ich hüpfe über Nacht und Au,<br />
steige und schwebe und platze.<br />
<br />
(Juni 1967)
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2011-02-11T12:00:00Z
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0009 - BEI ZWENTENDORF
http://earichter.twoday.net/stories/bei-zwentendorf-fuer-franz-haderer/
(für Franz Haderer)<br />
<br />
<b>1 Die Au</b><br />
<br />
Eine riesige Lunge, schwer atmend, ist hier die Au.<br />
Eine Fabrik, unsichtbar, kauert im Osten,<br />
bläst Zementstaub, allerfeinst, in die Luft:<br />
er ist grau, weißgrau, und grau ist jeder Tag dieser Au.<br />
<br />
Sie keucht, hüstelt unmerklich; ihre Brennesselstauden,<br />
Erlen, Weiden, ihr Rohrgras, mannshoch, stehn bebend da,<br />
würgend, unwiderstehlich der Brechreiz.<br />
<br />
Das Knacken der dürren Äste unter den Schuhn<br />
ist ein Husten, trocken, heimtückisch. Das ständige Rieseln<br />
ein Alptraum verfestigten Lichts: das Licht<br />
<br />
bleibt liegen, grau, lautlos, gefährlich lauernd.<br />
In der Nacht wird die Lunge versteinert sein, weiß.<br />
<br />
<br />
<b>2 Die Schlange</b><br />
<br />
Zu heiß für bloße Sohlen die Steine:<br />
das Wasser schießt glücklich prustend<br />
durch die zwölf Löcher des Wehrs.<br />
<br />
Blickschnell, ein Strahl lappt sich empor,<br />
dunkles S mit silbernem Schnörkel:<br />
die Natter hat den Fisch zappelnd im Maul.<br />
<br />
Ihr Schlängeln in Bernstein geschnitten,<br />
es dauert; der silberne Blitz dauert.<br />
<br />
Die Horizonte saugten ein Vakuum hier.<br />
Kein Ort, keine Zeit: nur ich, im Schlangenbiss, lautlos.<br />
<br />
(Juni 1967)
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2011-02-10T12:00:00Z
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0008 - PRAG JÜDISCHER FRIEDHOF
http://earichter.twoday.net/stories/prag-juedischer-friedhof-fuer-helena-krausova/
(für Helena Krausova)<br />
<br />
Der Regen ist Rabbi Löws Bart.<br />
Einst, im Verlorenen Land, wurde mir wohl,<br />
wenn er mich streifte. Seine Bauchrednerstimme<br />
war ein viel größeres Wunder<br />
als je ein Regenbogen. Rabbi, ich schlief<br />
in deinem Bart, schmutziges Mädchen,<br />
und träumte mich rein. Rabbi, du riefst mich<br />
manchmal zu dir, und ich legte mein Ohr<br />
an jene Wunde, rot und geheim,<br />
mitten im Bart: da wurde mir wohl<br />
im Trost deines Singsangs, Wiegen des Hauptes<br />
in der eindeutigen Schrift deines Herzens.<br />
Wie leicht Rabbi, du lächelst -, wie schnell<br />
hinter deinen Schultern die Welt verschwand:<br />
die Mutter eine weggeworfene Puppe<br />
der Vater kleiner als dieser Nagelmond.<br />
Jetzt, diese Grabsteine sind kein Dach.<br />
Ich gehe nackt im Regen, die Judenseelen<br />
rissen mir alle Kleider vom Leib.<br />
Ich gehe nackt über das Steinmeer.<br />
<br />
(März 1967)
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2011-02-08T12:00:00Z
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0007 - DIE AHNEN
http://earichter.twoday.net/stories/die-ahnen/
Unter Blättern, feucht, geduckt,<br />
hocken sie, wollüstigen Buckels,<br />
glotzäugig, mit bärtiger, triefender Lippe,<br />
hocken, horchen und haben Spaß<br />
an Unfällen, Mißernten, Fehlgeburten.<br />
<br />
Unter den Blättern glattgrün,<br />
in Gläsern schlierig, auf Messern fett:<br />
sie hocken und haben Spaß<br />
an Verneinung, wispern von Gas<br />
und läuten die Glocken zur Unzeit.<br />
<br />
Lähmend fällt ihr Singsang<br />
Gehenden in den Rücken,<br />
Nackte erblinden vor Scham,<br />
Schläfer zerdrückt der Daumen des Vaters.<br />
<br />
Schnurrend, sie hocken dabei, fächeln<br />
mit Zeitungen, Honigtöpfe die Herzen,<br />
von Hohn und Verzweiflung umsessen,<br />
aus Mündern Bälle aus rüdem Gestank.<br />
<br />
(Jänner 1967)
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2011-02-07T12:00:00Z
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0006 - FIEBER
http://earichter.twoday.net/stories/0006-die-macht-des-fiebers/
Puls, heiß, Blasen, violett, aufplatzend<br />
unter Augen, überreizt, grün flimmernd.<br />
Geräuschlos spazieren Kinder,<br />
Parapluis aus Papyrus, Putten<br />
aus Gummi, lächerlich weich,<br />
auf einer Milchstraße, plötzlich errötend.<br />
<br />
Da unten die Erde, konvulsivisch<br />
Zuckende, Schaum aus den Mündern.<br />
Gelächter, aus Röhren, gepreßt.<br />
Flaggen, Signale, wehende Hände.<br />
<br />
Verwandlung: Franzosen, glänzend,<br />
mit Schraubenmuttern im Cakewalk.<br />
Ölgeruch, Grüße des Proletariats:<br />
WIR erzeugt Unsterblichkeit,<br />
WIR springt über Streiks, Stoppzeichen, Kondome.<br />
<br />
Parolen, mit Echos, millionenfach,<br />
jagen Melancholie in die Luft.<br />
Eine Staubwolke setzt sich, Hügel, Berge,<br />
aus Kinderpuder, versöhnlich, im Abend-<br />
sonnenschein, schon im Schlaf.<br />
<br />
(Jänner 1967)
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2011-02-06T12:00:00Z
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0005 - ERINNERUNGSBAD
http://earichter.twoday.net/stories/0005-erinnerungsbad/
Mit roten Mängeln behaftet,<br />
abbreviaturenhaft, grausam fast,<br />
Gesichtsteile, tanzend,<br />
Erinnerungsbad.<br />
Nichts Schaumgekröntes, nur<br />
Anatomiebuchseiten, verlebendigt,<br />
die sich vergeblich<br />
in den Seitenstraßen,<br />
im Kornfeld verstecken wollen.<br />
Plötzliche Einfälle,<br />
Maschinengewehrgarben<br />
haben das Dunkel gelichtet.<br />
<br />
(Jänner 1967)
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Zahl und Gesicht
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2011-02-05T12:00:00Z
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0004 - DIE MASKE
http://earichter.twoday.net/stories/die-maske/
Er wartete nicht, bis mein Tanz zu End war.<br />
Er hob meine Maske ab und erschrak.<br />
Ich sah meine Sommersprossen auf seine Augen<br />
sich legen; darin kreisen, bis ihr Licht erlosch.<br />
<br />
Mein Tanz ist zu End, weil alles um mich herum brennt;<br />
weil Haare scharf rascheln, Füße wehn, die Dinge,<br />
an die ich dauernd stoß, bis ins Herz kalt sind.<br />
Ich seh keine Sonne, nur Schnee.<br />
<br />
Trauert, Eltern, schön war die Zeit hier mit euch, <br />
mein letzter Sommer, mein Vogel, mein Leben, mein Lied <br />
ich schluckte es mit den Pillen, und alles Eckige war<br />
blitzschnell rund, alles Kalte warm und ganz nah.<br />
<br />
(28.1.1967)<br />
<br />
(siehe KURIER, 27.1.1967, S. 7)
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2011-02-04T12:00:00Z
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0003 - EZRA POUND
http://earichter.twoday.net/stories/ezra-pound/
In meinem meerroten Bart<br />
fängt sich der Wind,<br />
daß es knistert und knirscht,<br />
als stieße der Kiel auf ein Riff.<br />
Ein schwarzer Hahn kräht<br />
im Meeresschaum.<br />
Die Geister entzünden sich leicht<br />
in solchen Stunden,<br />
ein Napf steht bereit<br />
fürs Tropfwachs der Kerzen.<br />
Wenn ihr glaubt, der Wind<br />
ist ein Feind des Feuers,<br />
dann seht meinen Bart!<br />
Daß Flammen züngeln,<br />
macht ihn nur froh.<br />
Und mein Gesicht<br />
leuchtet im Widerschein.<br />
<br />
(Jänner 1967)
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Zahl und Gesicht
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2011-02-03T12:00:00Z
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0002 - T. S. ELIOT
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1<br />
<br />
Es gibt einen Wind, der hat sein Schnurren verlernt.<br />
Er weht durch Städte wie London. Er zieht aus Gewinn<br />
und Verlust die Summe und klagt: Wie kann ich mein Leben leben,<br />
da ich schon tot bin? Die Parks, die grünen, die Zeitungsleser,<br />
Autobusse, Polizisten und Jungfraun, alles bedeckt die Wüste.<br />
Was raschelnd den Weg anzeigt, ist meine Kraft.<br />
Oder ist es die Brennspur eines anderen sterbenden Lebens?<br />
<br />
2<br />
<br />
The Thames ist ein Fluss, Überfluss, und doch immer <br />
leer, um Mitternacht, an der Tower Bridge.<br />
Ich sah in den Wellen Männer. Ich folgte dem Ruf,<br />
stieg hinab: kein Tor, keine Stufen, nur Gleiten!<br />
Gleitend trafen wir uns: über dem Grund,<br />
über der Zeit. Doch mein Durst blieb ungestillt,<br />
denn ich sprach mit wachsamen Toten.<br />
<br />
<br />
(28.1.1967)
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Zahl und Gesicht
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2011-02-02T12:00:00Z
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0001 - W. H. AUDEN
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Ich schwebe zwischen Zahl und Gesicht.<br />
Das Herz pumpt sein Blut ins Gedicht.<br />
Und wenn es sich rötet, hab ich das All<br />
schon auf den nächsten Dachbodenstufen.<br />
<br />
Ich sehe die Menschen in ihren Berufen,<br />
denn Sehn ist mein allerliebster Fall.<br />
Ich höre sie nicht nach dem Dichter rufen,<br />
aus ihres Lebens Überschalldrall.<br />
<br />
Sie stecken im Fleisch wie ich in den Geistern.<br />
Sie fliehn, was sie heimlich schützt.<br />
Denn Flüchtlinge nehmen, was momentan nützt.<br />
Sie lesen zu wenig in meinen Meistern.<br />
<br />
(28.1.1967)
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Zahl und Gesicht
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2011-02-01T12:00:00Z
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