0008 - PRAG JÜDISCHER FRIEDHOF
Der Regen ist Rabbi Löws Bart.
Einst, im Verlorenen Land, wurde mir wohl,
wenn er mich streifte. Seine Bauchrednerstimme
war ein viel größeres Wunder
als je ein Regenbogen. Rabbi, ich schlief
in deinem Bart, schmutziges Mädchen,
und träumte mich rein. Rabbi, du riefst mich
manchmal zu dir, und ich legte mein Ohr
an jene Wunde, rot und geheim,
mitten im Bart: da wurde mir wohl
im Trost deines Singsangs, Wiegen des Hauptes
in der eindeutigen Schrift deines Herzens.
Wie leicht – Rabbi, du lächelst -, wie schnell
hinter deinen Schultern die Welt verschwand:
die Mutter eine weggeworfene Puppe
der Vater kleiner als dieser Nagelmond.
Jetzt, diese Grabsteine sind kein Dach.
Ich gehe nackt im Regen, die Judenseelen
rissen mir alle Kleider vom Leib.
Ich gehe nackt über das Steinmeer.
(März 1967)