DT-001 FETISCH

(YVONNE)


ihre weiße Bluse steif, ein Fetisch,
der mich noch jetzt aufstachelt und jagt.
Als Fetisch saß sie neben mir in ihrer
verwerflichen Gestalt im Bus, Zeugs flüsternd,

und während sie lächelte, wußte ich,
es war eine Kopfgeburt. Ebenso ihre
Zunge, die als Fetisch aus ihren Ohren
hervordrang, inmitten ihrer pechschwarzen Haare.

Nach so vielen Jahren aus Russland
nähert sich devot ein pechschwarzes Fräulein,
was die Vergangene nie gewesen wäre.
Die steigt mit mir noch immer auf den Kirchturm,

und beide tapfer vorbei am Perpendikel,
der aus der Dunkelheit vorbeisaust, unheimlich
zischend, sodass wir zur Kirchturmuhr
hinauf flüchten müssen, die jede Sekunde knackt.

Von Zahnrädern oder Mechanik keine Spur
bei jener, die ohne es zu deklarieren nur eine Neuauflage
sein kann. Trotzdem: schön wie ein schalenloses Ei
jeden Morgen fällt mir ein neues Foto

ins Mailfach, und jedes zeigt eine neue Frau,
die doch, genauer betrachtet, nur eine Variation
derselben russischen Fetischwilligen ist, rätselhaft
ansatzweise mit Lächeln, die einander

gleichen in ihrem tiefgründigen Sanftmut,
die keinerlei Forderungen verbirgt, außer
jenen, die sich in mir von anderen breit
gemacht haben, Relikte jeder Verabschiedung.

Schwer fassbar, dass sie als Wiedergängerin
kein Irrtum sein soll. Denn alle Ankündigungen
entsprechen den Versprechen von damals.
Was jetzt da ist, ist zugleich weit weg.

Was damals schüchtern angeknüpft wurde,
hatte eine klare Ablaufzeit, angezettelt
von besorgten Eltern. Jetzt der autonome Irrtum,
geheimnisvoll fortgepflanzt über Grenzen und

auf eine gewisse Weise undurchdringlich.
Der weiße Monitor ist weiblich, der neue Fetisch,
beruhigend in seiner Affinität zum täglichen
russischen Frauengesicht, dessen Spiel mit dem Ernst

(Dienstag, 27.10.2015, 8.15 Uhr

Trackback URL:
https://earichter.twoday.net/stories/dt-001-ute/modTrackback

User Status

Du bist nicht angemeldet.

Free Text (1)

Dieses Weblog wird hier archiviert.

Archiv (ab 1967)

Lyrikbände:

Der zarte Leib

Friede den Männern

Das leere Kuvert

Eurotunnel

Obachter

Schreibzimmer

Romane:

Die Berliner Entscheidung

Originalverpackt oder mit Widmung über e.a.richter(ett)gmx(punktt)at erhältlich.

„...Dies ist der Versuch eines komprimierten Familienromans, zugleich ein Reisebericht, der an einen Ort führt, wo die Kriegsschäden an den Menschen und deren Behausungen noch unverhüllt sichtbar sind. Lena und Stefan, von den gegensätzlichen Seiten der Geschichte kommend, unternehmen, sich zwischen Überlebenden und deren Nachkommen bewegend, einen Versöhnungsversuch...“ (Klappentext)

Fliege. Roman eines Augenblicks

Aktuelle Beiträge

0126-1b A KIND OF DEPARTURE
the lady of the house speech-impaired since an incomprehensible...
e.a.richter - 2015-12-30 07:09
0126-1a AUCH EIN ABGANG
die gnädige frau sprachgestört wohnt sie seit einem...
e.a.richter - 2015-12-26 03:43
0107a - THE TEACHERS
the teachers leave the school the prettiest teacher...
e.a.richter - 2015-12-23 21:27
DT-001 FETISCH
(YVONNE) ihre weiße Bluse steif, ein Fetisch, der...
e.a.richter - 2015-12-21 12:12
DZL-18 DAS BETT
das Bett, das alles verraten wollte und nichts verriet:...
e.a.richter - 2015-10-07 04:22
DZL-17 PUPPI
was zu sehen ist, in einzelne Stücke zerlegen; alle...
e.a.richter - 2015-06-02 08:44
DZL-01 WIR GLAUBTEN AN...
wir glaubten an das Blut. Dieses Wir ist mit Vorsicht...
e.a.richter - 2015-05-07 13:59
DZL-02 MEIN PATTEX
mein Zauberer hieß nicht Pattex, nicht Expatt. Er lebte...
e.a.richter - 2015-05-07 13:58
DZL-03 DER ZARTE LEIB
Zartleibigkeit wird vermißt, auch intensive Zartlebigkeit....
e.a.richter - 2015-05-07 13:56
DZL-04 - ZU MEINER ZEIT
zu meiner Zeit war gar keine Zeit. Die Zeit hatte sich...
e.a.richter - 2015-05-07 13:55
DZL-06 IN DIE HÖHE SINKEN
schwierig zu lesen: Er begriff seine Geschichte. Blatt...
e.a.richter - 2015-05-07 13:53
DZL-07 TISCHLERPLATTE
mein Vater, Tischler, hatte keine Tischlerplatte, er...
e.a.richter - 2015-05-07 13:52
DZL-08 GOLD, GLANZ, HEITERKEIT
sie sagt, ich bin älter als mein Vater, als er zu...
e.a.richter - 2015-05-07 13:51
DZL-09 WIR GLAUBTEN AN...
wir glaubten an das Blut. Dieses Wir ist mit Vorsicht...
e.a.richter - 2015-05-07 13:51
DZL-10 BRAUTMASCHINE
ein Mann braucht nur eine Wand und eine Braut. Er braucht...
e.a.richter - 2015-05-07 13:50
DZL-11 SCHWIMMERIN
wenn sich das Tor geöffnet hat, fährt allen in ihren...
e.a.richter - 2015-05-07 13:50
DZL-12 FRESSEN UND WUCHERN
Gedichte zu fressen ist nicht meine Sache. Ich lese...
e.a.richter - 2015-05-07 13:49
DZL-13 KONTROLLE VERLIEREN
Kontrolle verlieren, im Nebenraum, wo alles aufgetürmt...
e.a.richter - 2015-05-07 13:49
DZL-14 MUNDSCHUTZ FÜR...
es begann mit strahlenden Augen, auf einer Schnitzerei...
e.a.richter - 2015-05-07 13:48
DZL-15 JUNGE FRAUEN...
dem kleinen Mann macht die Situation einen Gefallen: zwei...
e.a.richter - 2015-05-07 13:48

Free Text (2)

Free Text (3)

Archiv

Dezember 2015
Mo
Di
Mi
Do
Fr
Sa
So
 
 1 
 2 
 3 
 4 
 5 
 6 
 7 
 8 
 9 
10
11
12
13
14
15
16
17
18
20
21
22
24
25
26
27
28
30
31
 
 
 
 

Suche

 

Status

Online seit 5017 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 2016-01-06 11:08

Credits


A Roma etc.
Das leere Kuvert
Der zarte Leib
Detonation und Idylle
Die Berliner Entscheidung
Erste Instanz
Eurotunnel
Fliege (Notizen)
Friede den Männern
Jetzt
Licht, Schatten
Namen
Obachter
Pessimismus & Erfahrung
Schreibzimmer
Stummfilmzeit
... weitere
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren