A Roma etc.
1
Auto im Regen, und jemand hat Angst
vorm Donner draußen. Man ist verführt,
zurückzublicken, etwas von damals
aufzutischen, ins schöne Gesicht nebenan,
direkt in den schönen Mund. Und hinter dir das Kind,
das zuvor immer wieder in die Höhe sprang,
mit Händen, die den Himmel berühren wollten.
Jetzt siehst du auch den Mann, der bei jedem
seiner Sprünge die Arme ausbreitet und klatscht
2
es ging um Verrat, Demütigung und Macht.
Zwischen die Räder der Eltern kam ein Kind,
das nun ein Mann ist, der sich nicht rechtfertigen will.
Die Schöne mit dem rasierten Kopf balanciert
auf einem Band zwischen zwei Bäumen ohne
zu fallen. Sie geht dir danach gleich zur Hand,
indem sie deine Einladung nicht annimmt.
Auf den Cent genau gibt sie dir ihren Anteil zurück
3
natürlich eine Ehegeschichte, und du warst viel
zu jung, um Widerstand zu leisten. Es gab
ein Haus nur im Kopf, aber ein Kabinett zum Wohnen
für das Paar, immer Zeuge unermüdlicher Elternarbeit,
schon am frühen Morgen. Noch im Halbschlaf trat
Sex so oft heran, auch die Kunst als leichtsinnige
Lebenshochstimmung, die eine Zukunft verstopft hat
4
Vertrauen war eine Falle, ist es noch jetzt. Jeder Mensch,
dem du vertraust, entpuppt sich als einer, der unermüdlich
auf die Rätselhaftigkeit seines Kopfes pocht.
Du hörst dir zu und hörst kein Rätsel.
Du schlägst dich mittels Vernunft durch, auch wenn es
um Verbindlichkeiten geht zwischen den Hirnhälften
5
ein Geburtstag folgt auf den andern. Nie bist du
zufrieden mit jenen, die schon vorbei sind. Es sind
nicht die deinen, die dich so leichtfertig machen,
daß du die Hand drauf halten willst. Du wirst fügsam,
wenn die Mädchen die Haare fliegen lassen. Wenn sie
auf den Handys mit schnellen Fingern Dinge
skizzieren, die dann in der gegenteiligen Welt
erkannt und prompt weitergeschickt werden - Flasche,
Hals, Hirn, Zigarette, Becher, Asthma, Trostbonbons
6
viele Möglichkeiten in den Augenwinkeln – das
ist nicht dein Fall. Du lauerst nicht, bedauerst dich
auch nicht wegen einer Muskel- oder Venenschwäche.
Du nimmst die Gläser wahr, wie sie sind, zugleich
voller Sehnsucht, wie ein Kind auch im vollen
Genuß der Prohibition. Grammatik ist noch nicht
wirksam eingedrungen, feingliedriger Satzbau
eine noch schwierige Kunst. Du siehst dich
an einem Ofen, in dem es hellauf feuert. Die linke
Seite erstaunlich heiß, die rechte kalt und starr
7
wenn das Auto wegfährt, ist das keine Transition.
Das schöne Gesicht schnell vergangen, auch das Kind,
das sich hinterm Buch versteckt hielt. Es war eine Stimme
von hinten, die Erwachsensein reklamierte. Es war
ein Mädchen, das Überschläge perfektionierte, immer
mit einem kleinen atemlosen Aufschrei, als wär sie
auf dem Damentennisfeld. Du wirst den Finger draufhalten,
nichts wird explodieren oder sich ins strömende Out
katapultieren. Hier drinnen bleibt alles sehr lang still
(Sonntag, 10.06.2012, 22.41)
e.a.richter - 2012-06-22 13:00
J., fast unsichtbar in der Dunkelheit.
J., immer wieder unterm Kreuz,
ganz dunkel, lentamente, bis die Schiedsrichter
ihn schneller bewegen. J., in den Wiederholungen
seines Auftritts in wechselnder Gestalt,
immer langes Kleid, nackte Füße,
über dem Kopf ein Tuch, das er abnehmen darf.
Die Haare meist schwarz, struppig, in Strähnen
mindestens bis zu den Schultern.
J. muß immer ans Licht, lentamente, die Befehle
ohne Widerspruch ausführen: Lächeln,
tiefer Schmerz, Hände wenden, nach außen,
Innenseite, Arme ausgestreckt vom Leib weg,
zum Kopf, Hände, die einen Leib formen,
den zart streicheln. So geht das Casting voran,
mit leisen christlichen Nebenbemerkungen,
demonstrativen Handbewegungen, lentamente.
Man scheint sich einig zu sein über die Bewertung
der wie programmiert agierenden Emanationen.
Man hat die Wahl getroffen: den mit dem sanftesten
Blick, den wildesten Haaren, schönsten Füßen,
dem eindringlichsten Quelltext: Sic Transit Gloria
Mundi, Cosi svanisce la gloria del mondo,
Thus Passes The Glamour Of The World.
Nichts wiederholt sich, die Darsteller
verschmelzen, der Regisseur beginnt seine Rede,
während er im Boden versinkt, lentamente
(Donnerstag, 29.03.2012, 8.45, Rom)
e.a.richter - 2012-06-12 13:00
nur mit Block ausgestattet und Filzstift
ist Fausto the artist/il artista, der allen
sofort etwas schenkt: seinen Namen, ein
Schnellporträt, einen Satz, eine Pointe,
einen Witz, einen Blick, winzige Fundstücke,
blitzschnell in immer neuer Konstellation.
Am Gitterzaun Anfang und Ende zugleich.
Du und ich, wir alle, wir kommen und gehen.
Wenn du von rechts kommst, empfängt dich
ein lang gezogener Kreidemann, zittrig,
doch mit schmaler ausufernder Hand.
Es ist Faustos etwas klebrige Rechte,
die er nicht aufhält. Die Cent-Münzen
kommen aus der eigenen Tasche,
in einem Schiffchen aus Alufolie
oder einer schäbigen Börse, von wo sie dir
scheinbar von selbst in die Hand wachsen.
Narcissus! Wenn du Narcissus sein willst – jederzeit;
hol dir eine Porträtscherbe aus der Plastikdose!
Alles von ihm und doch Eigentum aller anderen.
Jetzt bist du zufällig der andere, der nur immondizia erbt,
rubbish, wie die desparate Nackte auf dem Blatt
gegenüber an der Mauer der Akademie,
die eine schnell hingeworfene Strichfigur mit ihrem
langen Fernrohr ununterbrochen beäugt.
Du beäugst ihn, Fausto, er dich. Sie ihn, er sie,
im Licht aus den Strahlern im Boden.
Die Alubarke entgleitet dir nicht. Eine Weile
bleibt sie Bestandteil deiner Ideen. Münzen, Blätter,
Stifte, frische Luft. Als Studio genügt dir, wie ihm,
der Betonrand des Durchgangs, und dort
ein paar Kreidestummel, schwarze und weiße
Kartone, zerquetschte Farbtuben.
Und wenn du einen Doppelgänger suchst –
nimm ihn, Fausto, als Divus Augustus in einen
zusammengeschusterten Rahmen gepreßt,
vor einem Foto mit römischen Lettern!
Willst du aber gehen, dann benütz einfach the long jump/
il grande salto: zwischen drei Absprungpositionen
kannst du wählen. Wo auch immer du landen willst -
jede entfernt dich jäh und ganz
(Dienstag, 27.03.2012, 2.08, Rom)
e.a.richter - 2012-04-18 13:00