Schreibzimmer

Mittwoch, 1. Oktober 2014

SZ-05 ALLES FREMD

Waschküche, Waschtrog, Kessel, Stall,
Kuhfladen, Jauchegrube, Dachboden, Großmutters
Kommode dort oben im Heu, gleich neben
der roten Blechtür, den Stufen zur Selch,
Lesegrube im Stroh oder in den Getreide-

aufschüttungen im Nebentrakt, Werkstätte,
Werkzeug, Nägel, Sägescharten, Karbid,
Fahrradlampe, Schweiß, Barthaare, Pitralon,
Vater im Bad, Bruder in der Klothhose,
Kernseife, Schmierfett, Erdäpfel, Rüben

in Massen im Keller, schwitzende Fässer,
Blut, gestocktes, von Schweinen, blökenden,
Lämmern, hell spritzendes Hühnerblut,
Dämpfer mit Schweinesud, Katzenkrallen,
Hund an der Kette, in seiner Hütte

unter dem Götterbaum, Pisse an jeder Ecke,
von allen Familienmitgliedern, Onkel auf dem Moped
mit dem Wiener Rucksack, Butterfass,
gedrechselte Tischbeine, Nussfurniere,
aus Gras gedrehte Zigaretten - Erdlöcher

in Abhängen, Weingärten, Kupfervitriol,
alles blau markierend, für zwei, drei Tage,
Weintrauben, Weinpresse, Trestern zwischen
den Zehen, Most, Sturm, Kröten- und Fischschleim,
Blutegelzucht im Nabel, Konservenbüchsen,

Kondensmilch, Mehl- und Erdäpfelsäcke,
aufgeplusterte Tuchenten, Gänsefedern, brütende
Hennen, aufgeschlagene eingesaugte Eier,
Hacken mit Hackstöcken, zwischen aufgehackten
Scheiten, der Herd, in dem immer Holz glost,

Wasser brodelt, kochendes Fleisch, tote
enthäutete Hasenleiber, an der Stadelwand
das abgezogene Fell, Kuhschellen, Steinnelken,
Maiglöckchen, und Pfingstrosen, auf Altären
an Häusermauern, mattes wüstes Gras auf der Straße,

Kleehaufen, Zungenküsse von Kühen, Kälber
im Geburtsschleim am Stroh, Ochs am Feld,
bremsenbedeckt, Buchenzweige mit welken
Blättern, Arbeitsgewänder im Vorraum, Speis,
Mehltruhe, Grammelstrudel, geflochtene Kränze,

Schnitte von Glasscherben, brennende Halmstiche,
Staubkrusten am ganzen Körper, Essigwasser
mit Zucker, Schwämme, Herrenpilze, Morcheln,
Rost auf Sensen und Sicheln, Dengelstock, Kumpf,
Krautfaß, Sulz, Hirn und Hoden, auch eigene,

bleich im Badewasser, verkürzte Ober- und
Unterschenkel, schwimmender, aufgeblasener
Penis, malträtiert mit künstlichen Paradiesen,
unbegangenen Sünden, Strafaktionen für die Sünden
anderer, umworben von Gottes Mund

(Mittwoch, 10.08.2005, 22.10 Uhr Paris)

Sonntag, 28. September 2014

SZ-04 KÖRPERGEBURTEN

aus dem Mund mein kleiner Körper,
der wiederum einen noch kleineren gebar usw.

Damals hatte ich noch einen Bart,
der das Gesicht dunkel umrahmte,

straffe Haut, noch keine bröseligen Lippen.
Ich blickte auf, sah mich oben verschwinden

und gleich wiederkehren in Form von Schönheit
Gnade Reichtum, alles in der Zukunft.

Ich atmete mich wörtlich aus,
als Toter, der wiederum Tote gebiert,

und beim nächsten Atemzug,
kehrte ich in mich zurück, scheinbar unverändert.

Ich hielt die Augen offen.
mein Hauch beschlug sie mit sanften Tränen.

So war mein Traum,
damals um die zwanzig, ex cathedra

(Montag, 12.08.2002, 16.40 Uhr, London)

(Erschienen in: Schreibzimmer, Edition Korrespondenzen, 2012)

Mittwoch, 24. September 2014

SZ-03 ANMUT & WÜRDE

im Ganzen genommen egal, ob Dienstag, Mittwoch,
Montag, Samstag oder Freitag: auch heute, an einem
Donnerstag, besteht Hoffnung, daß der nächste
Sonntag noch erreicht wird, vielleicht ein fetter
(mit Fischfett, fettem Gefühl, samtigem Fettgewebe);

daß sich die Wettervorhersage prompt erfüllt
(Sonnenscheindurchbruch in weiten Teilen des Landes),
sich auch etwas – oder mehr - von der Anmut des
weiblichen Geschlechts neuerlich enthüllt, nicht nur eine
gewisse körperliche Basis, sondern gleich Biegsamkeit

(so biegsam in etwa wie die Nackten von Femen in Kiew -
so unübersehbar präsent auf allen Medienschirmen)
und die sittliche Harmonie der Männer, auch ihre
Schönheit, die sich nicht nur in Reih und Glied marmorner
Statuen zeigt, in beharrlichen Leibesübungen, im Marathon

sexueller Bemühungen, auch in triefenden Wanderstiefeln
beim Durchmarsch durch die Donauauen,
im farbleeren Dickicht, im dumpfen Laubgewölle,
im Napoleon-Gehege. So wird dem Charakter
schon im voraus ein wenig die Dichotomie

abgelassen, die Geschlechter nehmen die voneinander
aufgelesenen Spuren und Eindrücke wahr, auf Frühling
getrimmt, als Tauschgeld - nicht unbedingt traurig,
womöglich spielerisches Gehüpfe von einem
Standbein aufs andere, das eine Frau, das andere Mann

(Donnerstag, 10. November 2011, 16.33)

(Erschienen in: Schreibzimmer, Edition Korrespondenzen, 2012)

Sonntag, 21. September 2014

SZ-02 A POET'S PROGRESS

sein jüngster Ersatzliebhaber wollte ich nicht sein,
auch nicht ein bed-visitor. Sein Bad hab ich
nie geputzt, nie seine hundert Goldfische
umgelagert, bin auch nicht in seine ausgetretenen
Patschen geschlüpft, hab seinen klapprigen VW
mit keinem einzigen Tropfen beschmutzt.

Es gab keine bellenden Hunde in der Nacht,
nur eine Unmenge Katzen, die nicht
in die Notaufnahme mußten, wenn er weg war –
sie wurden verwöhnt, von den Nachbarn,
von angereisten verwegenen Verehrern,
vom Hausfreund, von verstorbenen Dichtern.

Die Umgebung des Hauses, in dem er wohnte,
war keine Mondlandschaft, sondern sanft hügelig
zwischen Perschling und Donau, mit einer Bahn,
die ihn schnellstens nach Wien bringen konnte.
Und in der Nähe der Fichtenwald, der Tann,
der ihm Natursex gestattete, urgriechische Anwandlungen
dem Briten, in Specht- und Käfergesellschaft.

Er pflegte sein Echsengesicht, blickte aus
immerwachen Echsenaugen auf die transatlantische,
die mitteleuropäische Nachkriegswelt.
Es war überall gleich furchtbar wie immer,
provinziell nur in diesem Land, das Niveau rapid gesunken,
ohne Krawalle und Streiks, ohne Drogenkonsum.

Ihm war egal, wer seine Gedichte auswendig konnte -
er schrieb Libretti, eins zu A Rake’s Progress
die gesungen werden mußten. Wenn die Oper,
die Kulturbeamterei versagte, sang er sie selbst
seinen Katzen vor, den ungerührten Goldfischen,
wenn sein Liebhaber wieder einmal auf Tour war

(Sonntag, 9.10.2011, 0.30 Uhr)

Siehe auch hier , hier und hier.

(Erschienen in: Schreibzimmer, Edition Korrespondenzen, 2012)

Mittwoch, 17. September 2014

SZ-01 SCHREIBZIMMER

hier fuhr ich weg, nachdem die Putzfrau gekommen war,
ausnahmsweise an einem Sonntag, was mich im Vorhinein
schon mit einer gewissen Unruhe erfüllt hatte, auch Scham:
ich schäme mich tatsächlich fast immer ein wenig,

wenn sie in meiner Gegenwart putzt, auch wenn ich
ihr dabei nicht zusehe. Ich überlegte, ob ich nicht
schon vorher wegfahren sollte, fand das aber albern
und blieb, bis sie läutete. Sie läutet immer, um auf sich

aufmerksam zu machen, obwohl der Schlüssel in einem Gefäß
bei der Eingangstür liegt. Ich hörte, wie sie das Rad abstellte
und jemanden grüßte. Sie läutete, ich reagierte nicht. Erst
als sie schon im Bad stand, schob ich die angelehnte Tür

des Schlafzimmers auf und stellte mich vors offene Bad.
Sie trug bereits ihre gelben Arbeitshandschuhe, sprach
bedauernd darüber, dass sie noch immer keine eigene Unterkunft
gefunden hatte, allerdings auf eine Gemeindewohnung warte

und währenddessen alles Angebotene in Kauf nehmen würde.
Ich schlug ihr ein Essen in einem Lokal in der Nähe vor, aus Anlaß
ihrer Schtaasbiagschaf. Manchmal sagte sie auch Schtaasbüaga,
Schtaasbiaga oder nur Biagschaf. Oft halte ich sie von der Arbeit ab,

um mit ihr zu reden, schon wegen der neuen Wörter,
die von ihr zu lernen sind, ihrer ureigensten Grammatik.
Noch immer denke ich daran, mich mit ihr einmal zu treffen
und Sprachaufnahmen zu machen, wegen ihrer ständig

in Bewegung befindlichen Deutschsprachwortbildung.
Also genug Grund sich zu schämen, wenn sie Staub saugt,
Staub wischt, Fenster putzt, alles in der Küche und im Bad
Befindliche zur Reinigung in ihre behandschuhten Hände nimmt.

Gestern lud ich sie gleich auf einen Kaffee oder Tee ein.,
Und danach: Apfel oder Kuchen? Und wie so oft sagte sie: Schpäta,
noch Oawat. Ich sagte: Tschüß, nachdem sie erwähnt hatte,
dass auch ihre zweite Tochter die Biagaschaf anstrebt,

jetzt, nachdem sie von ihrem Mann, der ein Jahrzehnt –
rauchend und fernsehend – die Scheidung verhindert hat,
endlich weg ist. Im Auto war zuerst nicht klar, ob ich
zum Training oder gleich zum Schreibzimmer fahren sollte.

Ich übersah dort den Staub auf dem Fensterbrett, die staubigen
Gläser, die Flasche mit dem fast farblosen Cola, die Staubschlieren
auf den Scheiben, den Staub und die Flecken auf dem Boden.
Zuerst musste ich Zeitschriften und Bücher vom Bett entfernen.

Dann zog mich aus, legte eine Decke und zwei Pölster
auf die bloße Matratze. In der „Krone“ bekam ich prompt
14 Punkte für meine Selbstkontrolle, 12 für meine Neigung
zum Genießen, was mich höchst erstaunte, aber nur 8

fürs Sich-Gehen-Lassen. Außerdem las ich noch
einen der stets lehrreichen Artikel der Gerti Senger. Diesmal:
Wie schnell ein Mann kommen soll. Was es bewirkt,
wenn er zum schnellen Orgasmus aufgefordert wird.

Ich erinnerte mich an einige Frauen, bei denen ich ähnliches
erlebt hatte. Eigentlich nur kontraproduktive Erfahrungen:
zuerst das Ausdauertraining, so lange, bis es Spaß machte;
dann – und das war gewiss keine Wahl – ab und zu solche,

die entweder nach kurzer Zeit kamen – vielleicht das nur spielten –
oder auf längeren Sex überhaupt gar keinen Wert legten.
Dazu fiel mir gleich das Gegenbeispiel ein, eines, an das ich
bei solch flüchtigen Reminiszenzen immer denken muss:

Schriftstellerin, die DDR-Frau – damals für mich – in Person.
Sehr dünnhäutig, sehr labil, frauenpflegerisch, aufgebaut
von Volk und Welt, ihr Werk über fünf Jahre lang finanziert
und auf Lesbarkeit zurechtgestutzt. Wohnung beim Alexanderplatz,

Laube in Adlershof, weit draußen. Wie sie dort kochte, wie sie
Weniges viel erscheinen lassen konnte. Wie sie mich scherzend
durch den Osterwald zog, über stromführende Schienen.
Sie kam schon im Linzer Hotel, noch in der ersten Nacht,

mehrmals, auch für sie überraschend. Und die anderen Male,
in ihrer Plattenbauwohnung im ersten Stock, in ihrem kurzen,
viel zu harten Bett: sie hielt durch trotz ihrer oft eingetretenen
unerklärlichen Ohnmacht. Sie genoss es und trieb es voran.

Erstaunlich, dass sich jetzt grad das, was sich mehr in Briefen
als am realen Lebensort abspielte, gleich in den Mittelpunkt
gerückt hat. Erstaunlich, wie wenig Konkretes – Gerüche,
Gefühlsintensität, unwiederbringliche persönliche Details –

von Ehen, Seitensprüngen und Abenteuern verschiedenster Art
geblieben ist. Erstaunlich diese völlig unerwünschte Schrumpfung
auf eine Gefühlsminiatur, ein Konzentrat, in dem sich so vieles
mischt, zu dieser Gefühlseinheitsfarbe, Blaurotgrüngrau.

Bedenkenloses Vergessen durchzieht die Tage und wird beklagt,
zugleich auch mit einem gewissen Genuss gefördert. Ich schaue
nicht zurück, so die Prämisse. Ich schaue zurück, doch nur kurz,
um mich des Zurückschauens vorsorglich zu entledigen.

Im „Standard“ las ich über zwei Arten, Krieg zu führen –
jene der Briten und die der Amis. Die Amis töteten
Frauen und Kinder, um die Bewohner zu schocken
und so leichtere Durchfahrt zu haben; die Briten

schossen zuerst in die Luft, dann in den ersten Reifen,
in den zweiten usw., bis sich das Auto nicht mehr bewegte.
Nun der Bericht über die Neocons, die unter anderem hoffen,
dass sich der Irak vorbildhaft zur Demokratie entwickelt,

die sich danach wie eine hormonelle Kaskade auf die ganze Region
ergießt und so den Amis einen weiteren Krieg erspart.
Schließlich der Artikel über die mehr als 1000 Juden 1939
im Praterstadion, vor dem Abtransport noch wissenschaftlich

vermessen, und Winds of Life. Destinies of a Young Viennese Jew,
das Buch des einzigen Überlebenden. Schwierig, mich zu konzentrieren –
– zwar Sonntag, aber wie hätte ich vergessen können,
dass hinter der Mauer, an der die Anrichte der Tante steht,

ein Mann lebt, der Heavy Metal hört oder sich Pornovideos
reinzieht. Gestern hörte er Black Sabath, so laut, als wäre
zwischen ihm und mir nur eine dünne Mauer. Plötzlich
merkte ich den Kopfschmerz. Ich stand auf, ging zur Anrichte,

wo oben alte Kassetten lagen, aber auch Ordner, Schachteln
mit Briefen und Zeitungsausschnitten, und darauf Fotos,
die in Klarsichthüllen steckten, auch sie staubig, vielleicht
voller Bakterien – ohne dem Impuls nachzugeben,

sie vorher zu betrachten, um mich der Erinnerungsbilder
an Wanderungen durch Städte, Bergbesteigungen, Fernflüge
zu vergewissern. Ich wischte sie feucht ab, noch immer im Schwanken,
ob ich den Nachbarn von meiner Anwesenheit informieren sollte

oder das Schreibzimmer so schnell wie möglich verlassen.
Inzwischen hatte es drüben mehrmals geläutet, ohne dass sich
viel änderte: neue Band, raues Gebrüll mit Hall. Zwischendurch
auch weniger Aufdringliches, das sich aber nicht durchsetzte.

Plötzlich gabs eine Pause, und ich hörte zwei männliche
Stimmen, ohne zu verstehen, was sie sprachen. Sie standen
etwa einen oder eineinhalb Meter von der Mauer entfernt,
und schon das verzerrte ihren Dialog zur Unverständlichkeit.

Ich sah auf den Wecker auf dem Kasten der Großmutter:
die Zeiger waren ein paar Minuten vor 13 Uhr stehengebliebelieben,
an irgendeinem Tag, nicht in meiner vergesslichen Gegenwart.
Ich war noch immer bloßfüßig, der Staub auf dem Boden

gab mir den Impuls, daran zu denken, hier aufzuwischen,
auch die verschmierte Waschmuschel im winzigen
Vorzimmer zu reinigen, die Klobrille. Keine Ahnung,
wann ich dort das letzte Mal gesessen war. Ich rettete mich

mit dem Gedanken, dass ich ja jemanden einladen könnte,
um mich so zum Wischen, Staubsaugen und Putzen zu motivieren.
Einen Moment lang dachte ich an die Putzfrau: wie sehr ich mich
schämen würde, wenn sie sich hier vor meinen Augen

in dieser Enge bücken müsste. Wohin ich dann gehen sollte.
Wie ich ihr diese Verwahrlosung überhaupt erklären könnte.
Es war klar, nie würde ich ihr vom Schreibzimmer erzählen,
in keinem Zusammenhang. Währenddessen war die Musik völlig

verstummt, und die Stimmen waren ganz leise geworden. Die beiden
Männer – ich wusste nicht, in welchen ich mich versetzen sollte,
würde ich die Situation umkehren wollen –, hatten sich offenbar
ins Wohnzimmer oder in die Küche zum Essen zurückgezogen.

Ich wollte sie animieren, die Wohnung zu verlassen,
und zwar genau in dem Moment, wenn ich die Tür öffnete
und auf den Aufzugknopf drückte. Gewöhnlich
stand der Aufzug, wenn ich hinaustrat, nicht im letzten Stock,

sondern darunter, oft im Erdgeschoß oder im Keller. Also gab es
noch einen Spielraum, eine Chance für den Zufall,
die von mir vorgestellten Gesichtsfragmente zu korrigieren
und zu realen Gesichtern zusammenzufügen, fürs Protokoll.

Der Lift kam nicht. Ich schaute nach links, eine Schachtel
mit Abfall vor der Wohnungstür. Die ging nicht auf, ich läutete nicht,
stellte mir nur ein Auge vor, das mir knapp über dem Kopf folgte,
bis ich beim Eingang angekommen war, wie üblich im Laufschritt

(Sonntag, 18.05.2003, 15.30 Uhr)

(Erschienen in: Schreibzimmer, Edition Korrespondenzen, 2012)

Dienstag, 10. Juni 2014

E-17 MATERIAL

1

die blinde Gegenwart hockt
auf der blinden Vergangenheit, hält
Ausschau nach mir und all
den anderen, die irgendwo
immer hocken oder liegen oder
sich schon aufgelöst haben als menschliche
Struktur, nicht entmaterialisiert, sondern
verfügbar als Material

2

ich atme jetzt, auf meinem venezianischen
Bett neben einem zweiten, das leer ist,
blicke auf geöffnete Türen
bei künstlichem Licht von oben und
rechts. Und ich weiß: wenn
ich nach vorn geh, öffnet sich
ein Raum, ein zweiter, dritter, davor
ein Platz mit Stimmen und Schritten,
und ein heller Glockenschlag,
nur ein einziges Mal

(2005, Venedig)

(Erschienen in: Schreibzimmer)

Freitag, 13. September 2013

О РУЖІ

О ружі, що за ружі, що ружі чинять ружам,
не знаємо того, що чинимо ми їм, це таємниця руж.
за огорожами, в садах, як ніч, чорнющі ружі.
вони вичікують, без жодних помислів про подарунок.

Я думаю про чорну ружу, яка так темно й надчутливо
звисала понад муром і над неторкнутим вологим ложем,
давно недоторканна. Я думаю про вкриту лаком ружу,
лакований букет – для нього чорну вазу я придбав, в Ікеа.

В Ікеа згадував я безліч руж на твоїх стінах, всі питання руж,
які твого життя не зовсім стосувались:
я таїну твою тобі залишив, однак для себе нотував у свій щоденник
усі можливі виправдання – про ружі і про те, що чинять ружі і чому.

Геть педантично – так, як ти плекала свої ружі, вся в сумнівах, як ти
мої розпитування щодо руж сприймала. А якось, серед рапсового поля,
я думав про жовтогарячі ружі, про море жовтих руж, і про твій дар
життя цих руж єдиним поглядом знов оживляти на просторах дальніх

(Зі зб. «Кімната для письма»))

(Ins Ukrainische übersetzt von Peter Rychlo.)

(Auf Deutsch hier.)

Dienstag, 10. September 2013

ТІЛЕСНІ НАРОДЖЕННЯ

з рота вродилося тільце моє,
яке знов народило ще менших і т.д.

Тоді я ще був з бородою,
що темно обрамлювала моє обличчя,

мав тугу шкіру, зовсім не зморщені губи.
Коли я дивився на себе, то бачив, як зверху я ніби зникаю

й знов повертаюсь у формі вроди
милості статків, усе це було майбутнім.

Я себе видихав, зовсім буквально,
як мертвий, що знову народжує мертвих,

і разом з наступним подихом
я знов повернувся до себе, здається, без змін.

Мої очі були розплющені,
мій подих зрошував їх тонкими слізьми.

Таким був мій сон,
коли я мав двадцять літ, ex cathedra.

(Зі зб. «Кімната для письма»)

(Ins Ukrainische übersetzt von Peter Rychlo.)

(Auf Deutsch hier.))

Samstag, 2. Juli 2011

EI-07 A POET'S PROGRESS

sein jüngster Ersatzliebhaber wollte ich nicht sein,
auch nicht ein bed-visitor. Sein Bad hab ich
nie geputzt, nie seine hundert Goldfische
umgelagert, bin auch nicht in seine ausgetretenen
Patschen geschlüpft, hab seinen klapprigen VW
mit keinem einzigen Tropfen beschmutzt.

Es gab keine bellenden Hunde in der Nacht,
nur eine Unmenge Katzen, die nicht
in die Notaufnahme mußten, wenn er weg war –
sie wurden verwöhnt, von den Nachbarn,
von angereisten verwegenen Verehrern,
vom Hausfreund, von verstorbenen Dichtern.

Die Umgebung des Hauses, in dem er wohnte,
war keine Mondlandschaft, sondern sanft hügelig
zwischen Perschling und Donau, mit einer Bahn,
die ihn schnellstens nach Wien bringen konnte.
Und in der Nähe der Fichtenwald, der Tann,
der ihm Natursex gestattete, urgriechische Anwandlungen
dem Briten, in Specht- und Käfergesellschaft.

Er pflegte sein Echsengesicht, blickte aus
immerwachen Echsenaugen auf die transatlantische,
die mitteleuropäische Nachkriegswelt.
Es war überall gleich furchtbar wie immer,
provinziell nur in diesem Land, das Niveau rapid gesunken,
ohne Krawalle und Streiks, ohne Drogenkonsum.

Ihm war egal, wer seine Gedichte auswendig konnte -
er schrieb Libretti, eins zu A Rake’s Progress
die gesungen werden mußten. Wenn die Oper,
die Kulturbeamterei versagte, sang er sie selbst
seinen Katzen vor, den ungerührten Goldfischen,
wenn sein Liebhaber wieder einmal auf Tour war

(Sonntag, 9.10.2011, 0.30 Uhr)

Siehe uach hier , hier und hier.

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„...Dies ist der Versuch eines komprimierten Familienromans, zugleich ein Reisebericht, der an einen Ort führt, wo die Kriegsschäden an den Menschen und deren Behausungen noch unverhüllt sichtbar sind. Lena und Stefan, von den gegensätzlichen Seiten der Geschichte kommend, unternehmen, sich zwischen Überlebenden und deren Nachkommen bewegend, einen Versöhnungsversuch...“ (Klappentext)

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