DZL-04 - ZU MEINER ZEIT

zu meiner Zeit war gar keine Zeit.
Die Zeit hatte sich noch nicht losgelöst,
lag ungelöst in einem dunklen Raum,
ungelöst in den Gläsern, die ich noch

leer trinken würde, schwebte in Rauchringen,
die ich den andern – mit meinem langen Atem –
gestohlen hatte. Ich stand vor der Zeit,
ohne sie als eigene zu erkennen. Fremde Zeit

umgab mich, chancenlos festgenagelt,
nicht betrunken, nicht berauscht,
nicht niedernikotinisiert, nicht wissensgeil,
in keiner Therapie, in keiner auch nur

ansatzweise erträglichen Lebensform.
Zu meiner Zeit war alles ein lausiger Entschluß,
inmitten eines Blütenmeers am Blumentag,
der diese Zeit nie verlassen würde

außer mit einer überraschenden Explosion.
Zu meiner Zeit war keine Zeit zum Studium
von Geschlechtsteilen, niemand bot dergleichen feil.
Sowohl Ziehharmonikabeherrschung als auch

fleißigster Besuch von Tanzschulen führte
vom Umweg des Frauenkörperporträtisten
nicht weiter als zum Schaum auf den Lippen
anderer, Mädchenlippenschaum, der sich nicht

herunterküssen ließ an solch schäumenden Tagen.
Jede Bemühung zu meiner Zeit verschlug mich
in die Annäherung an das Jetzt: zu den nackten
Tatsachen einer Unzahl zeiterschöpfter Uhren

(2013)

(Erschienen in: Der zarte Leib, Edition Korrespondenzen, 2015)

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