D-11 POST MORTEM
dachte ich: für immer
unter der Erde, sie,
von der ich so wenig
wußte, ihr plötzlich
erkalteter Leib.
Ich erschrak: sie hatte
ein Grab, ich keins.
Ich würde auch nicht
dafür sorgen wollen.
Ich wollte kein
ungeliebter Name sein,
mit dem ein zufällig
Vorbeikommender nichts
verband. Mein Name
sollte mit mir
verschwinden. Ich wollte
nicht in die Erde.
Nur kurz die Verlockung,
auf den Gebeinen
der Eltern zu ruhn.
Zum allerletzten Mal
auf den Erzeugern
wie ein Kind
aufsitzen, langsam
in sie hineinsickern,
zu einem Knochenwirrwarr,
ununterscheidbaren.
Ich wollte in die Luft
aus einem Rauchfang
entweichen. Ich wollte
als weißliche Asche
Dünger sein für ein paar Blumen
auf einem Fensterbrett
im vierten oder fünften Stock.
Ein bißchen Nahrung
für ein bißchen Zeit.
Ich wollte in ihren nächsten
Blüten aufleuchten:
letzter Wille,
letzte sichtbare Form,
prächtige Stille
(Samstag, 1.5.1999, 21.10 Uhr)
(Erschienen in: Das leere Kuvert, Bibliothek der Provinz, 2002)