Freitag, 3. Januar 2014

O-43 THERE & GONE

der Mond – verwischter Kreis aus Plastikabfall
vor einem dunklen Haus. Geschlossen
die Jalousien – zum Schutz der Dame
mit dem kleinen Boot in den Händen.

Aufmerksam hingegen vermeidet die Katze,
ihren Seejungfrauenschatten ins Auge zu fassen:
sie starrt auf den Zaun aus Holzlatten
mit seinen unregelmäßigen Spitzen –

Finger vieler unfaßbarer Hände. Ein Hubschrauber
(hörbar vom Hof her) wirft einen riesigen Schatten
in der Form eines Autodachs auf eine rissige
Bodenfläche: darin eingraviert HOOD, Kapuze.

Und ein schwarzer Mann, dessen Totenschädel
zwischen kahlen Baumstrünken sich herausschält,
ohne daß dazwischen ein Hirsch herausbricht
wie in dem Film mit dem Indianer der Nackte,

der sich im Schnee wälzte, auch Schnee aß.
Die Lampe über all dem nur ein geknotetes Stück Strick,
der von einem Bügel herabhängt: die Welt, auch nur
ein Metallklumpen, dessen Gewicht lastet, anhängerförmig

auf schräg aufgebockten Hinterrädern,
dem Steißbein des Mannes, dessen wechselhafter
Schmerz von rundherum beobachtet wird –
und alle sichtlich unzufrieden, zornig

über das schnelle Schwinden seiner Selbstheilungskräfte.
Fünf Graphitsplitter auf einem staubigen Weg:
zusammen ein Herz. Angeleuchteter Teil
einer Blechtafel: August 1959, in römischen Ziffern.

Warum ein Gedenken in Stein, und woran?
Dann der Stern, sehr hell! Und gleich auch: der Tod,
der sich nur kurz als unscharfer Streif zeigt,
auf einer abschüssigen Mauerkante.

Darauf – sehr tröstlich – der Musikant,
als beidseitig flossenartiger sehr dunkler Fleck,
bis der gleichmäßige Spalt auftaucht
in der offenen Riesenschachtel, niedergelassen

auf dem eindeutig umrissenen Hauptplatz.
als fetter Spinnenkörper ohne irgendeine Zeichnung.
Ein Betrunkener, der ein Schild mit der Aufschrift
KANSASS gar nicht wahrnimmt, oder nur einen Moment,

und gleich nach dem Vögelchen greift,
da er sein Zwitschern gehört haben mag
und alle drahtlosen Geräusche verscheucht –
so ist er der Held, der eine Anzahl Holzklötze

so geschickt hintereinander plaziert,
daß sie wie eine Falle erscheinen,
Straßensperre, die jederzeit zuschnappt.
Die Sonne blendet, wäscht die Landschaft

fast weg, auch die Schlafende, die er begehrt,
ihr Stöhnen, hinter dem fragilen Gerüst,
das sich ihm wiederholt in den Weg stellt.
Der gelbe Löwenzahn ist eine Rose, eine schwarze,

das gefaltete Zeitungsblatt ein stachelloser Skorpion,
der vor ihm her läuft, eine Mauer hinauf,
sie aufreißt - ein Riß, der bis zur Krone
hinaufführt, hin zur Nagelkrause,

zu den herabquellenden Pilzen, zurück zur Frau,
die mit ihrer langen Zunge schnalzt;
sie hebt den Arm, bläht die Lippen: verspottet
ihren Flöte spielenden Schatz mit lockeren Gesten!

Die Kugel, gläsern, mit spiegelgleichem
Zwillingsschatten vor seinen Füßen –
Ball dieses Herrn, den er überall einlochen kann,
wenn er nicht stolpert, der Teufel,

das Teufelchen, das auf jedem Wegweiser hockt,
auf jedem Ortsschild herumtanzt und schreit:
Entweder – oder! Doch nirgendwo eine Leiter:
Es geht nicht rauf, auch nicht mehr runter

(Nach einer Fotoserie von John Gossage)

(Berlin, Mittwoch, 11.04.2001, 9.10 Uhr)

(Erschienen in: Obachter, Edition Korrespondenzen, 2007)
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