0121 - PESSIMISMUS UND ERFAHRUNG 7
seine gesichtshaut verspricht geborgenheit, sagt meine frau, schreibst du, & ich sage, schreibst du, meine hände sind mir zu patschig, wie die eines kleinkinds, schweinchenfinger, eine art fleisch, die zur RÜHRUNG neigt, & sie verbessert: ZÄRTLICHKEIT, -
& ich sage: deine augen sind immer naß, & sie sagt: du hast sie eben nicht gesehen, keine spur von nässe, & übrigens: seine augen sind das beste, was er hat –
& ich sage: er hat noch weniger haare als ich, & sie sagt: das stimmt nicht –
& ich beharre: weniger, & sie drauf: mehr; aber bei einem menschen, den man liebt, spielt das doch keine rolle –
& ich wiederhole: viel weniger haare, & sie sagt: er hat eine so feine haut im gesicht –
& ich sage: man kann ihm doch alles ansehen wie einem kleinen buben, & sie sagt: ich weiß ganz genau, was mich erwartet, ich werde eben nicht mehr diese erwartungen haben –
& ich frage, warum sie denn ihre von mir enttäuschten erwartungen zur grundlage einer TRENNUNG machen wolle, & sie sagt, sie habe jetzt eben alles durchschaut, warum ich so sei & nicht anders, & nur das sei der grund –
& ich sage, sie bilde sich da was ein, was gehöriges, sie glaube, weil sie SCHRIFTLICHE unterlagen habe, weil sie immer ständig BEWEISE gesammelt habe, könne sie jetzt mit einem größeren wissen auftrumpfen, & sie sagt, für sie sei eben alles zu ende, ich möge mich doch gefälligst an meine letzten selbstmordäußerungen erinnern –
& ich sage, es sei unfair, sofort etwas als argument zu benutzen, das aus einer gefühlshaftigkeit, wie sie sich es immer gewünscht habe, gesagt worden sei, & sie sagt, seit sie von ihrer familie weg sei, habe sie sich immer mehr mit ihr identifizieren müssen, sie habe jetzt viel weniger distanz als vorher zu vater & mutter, besonders zum vater –
& ich sage, die ehe ihrer eltern habe deshalb so gut funktioniert, weil es gleich zwei sündenböcke gebe, & sie sagt, ich hätte mich in meiner 10jährigen alleinsamkeit zu dem machen lassen, der ich nun bin, sie habe mich voll & ganz in meiner ganzen ERBÄRMLICHKEIT erkannt, es gebe für mich keinen ausweg –
& ich sage, was sie jetzt so großartig als erkenntnis verkünde, hätte sie einfacherweise schon von allem anfang an verkünden müssen, & sie sagt, wenn die lüge nicht zwischen uns gewesen wäre; aber sie habe das alles geahnt, meine verschlagenen augen –
& ich sage, ich bin nicht verschlagen, & sie sagt: wenn du den anderen mann physiognomisch betrachtest, dann wird man wohl auch dich so betrachten dürfen; deine augen verschwinden manchmal ganz tief unter der stirn –
& ich sage, sie wisse wohl, daß sie einmal ganz verschwinden werde, & sie sagt, sie habe nicht gewußt, was für ein unsinnlicher mensch ich z. b. im vergleich mit dem andern sei; in seiner gegenwart habe sie immer SCHÖPFERISCH sein können –
& ich sage, da habe sie doch seit jahren die schöne ausrede gebraucht, daß zwei - sogenannte - schöpferische menschen nicht miteinander leben können, & jetzt sage sie so etwas widersprüchliches, & drauf sagt sie nichts –
& ich sage, ich sei eben immer eine perforierung ihrer in der familie etablierten spezifischen schutzmauer gewesen, der schutzmauer gegen sich selbst & gegen die familie & gegen die „vergangenheit", & jetzt sei eben meine "vergangenheit" ihre schutzmauer gegen sich selbst, & sie wolle verständlicherweise das, was sie so zufällig spielend entdeckt habe, also USUPIERT, nicht abgeben, nicht verlassen, jetzt stecke sie eben in dem, was sie als mein GEHEIMNIS bezeichnet habe, jetzt fühle sie sich selbst als mein GEHEIMNIS, & daher sei ich eben ein versager, frigid ihr gegenüber & überhaupt jeder wirklichkeit, in ihren augen sähe ich ja gar keine wirklichkeit, während in meinen augen sie es sei, die die wirklichkeit ignoriere, die hundert-, ja tausendfältigkeit dieser wirklichkeit, was natürlich keine ausrede sein solle, sondern eine erfahrungstatsache darstelle, & sie sagt wieder nichts –
& ich sage, wenn sie sage, alles, was ich suche, seien FIKTIONEN, dann gebe es eben nur die möglichkeit zu glauben, wir beide kämen an die WIRKLICHE wirklichkeit gar nicht heran, allerdings mit dem kleinen unterschied, daß ich mir meine fiktionen, sie sich aber ihre ILLUSIONEN nicht rauben lasse, & sie sagt, sie habe mich noch nie so außer mir gesehen wie damals, als sie mir gesagt habe, sie habe den brief an die studienkollegin gelesen, & im übrigen wisse sie das alles schon seit langem, & sie zitiert wieder wiederum fremde SÄTZE, schlägt mir diese SÄTZE aus fremden briefen um die ohren –
& ich greife wieder zum MIGRÄNIN, was die schmerzempfindung herabsetzt bzw. beseitigt & die störungen der gehirndurchblutung durch lösen der gefäßkrampfe normalisiert, NORMALISIERT, & durch minderung des austritts der blutflüssigkeit aus den gefäßen ein schnelles nachlassen der spannungszustände bewirkt usw. usf.
(15.-30.5.1972)