Donnerstag, 15. Januar 2015

DZL-09 WIR GLAUBTEN AN DAS BLUT

wir glaubten an das Blut.
Dieses Wir ist mit Vorsicht zu betrachten:
Ich glaubte an das Blut,
das in meinem rechten Auge aufgetaucht war
und nicht verschwand.

Sie glaubte an mein blutiges Auge,
auch an ihre Schwarz-Weiß-Welt,
voller Symbole, Gleichnisse und Allegorien.
Wir diskutierten nicht, wir schrieben.

Die Zeiten der Gemeinsamkeit
spalteten sich auf in einen betriebsamen Tag bei ihr,
bei mir in die übertriebene Nacht.
Sie brach sich den Fuß auf der Promenade,
ich ließ mir die Linsen tauschen.

Ich beschrieb diesen Vorgang viel genauer
als sie ihren sogenannten Hinfaller am See.
Ich sah durch die Plastikaugenabdeckung
auf die Brillensammlung, die nun völlig wertlos war.

Ich glaubte an das Blut,
das jetzt aus den Augen tropfte,
auch daran, daß sie die Regentin der Blitze war,
die beim Kopfschütteln rechts und links auftraten.

Mir war das Blut wichtig,
man malt mit Blut, nicht mit Wasser.
Man lässt das eigene Blut in die Ferne schwappen,
um die aus der Ferne Schreibende heranzuholen.

Dem geht immer auch eine Art Lüge voraus,
eine Art Hoffnung, ein schleichendes Verschleiern.
Und Eintrübungen, Verschwommenheiten
die sich über jedes Bild gelegt hatten,
erzeugten tagblinde Bilddissonanzen,
prächtige Sehängste, die völlige Blindheit prophezeiten.

Blut auch, was ich aus ihren Sätzen herausgepresst hatte.
Ohne Ekel noch Lust, es aufzuschlürfen,
es war so abstrakt, so kalt, so klebrig, so unnachahmlich nicht ich.
Wäre es heiß gewesen, wär es augenblicklich
auf mich übergesprungen, mit einem Bilderregen.
Fraglich, ob ich mir diese fundamentale Nässe
je gewünscht hatte, auch nicht während der Operation.

Mit Blut hatte ich die Zeit gedehnt,
aber auch schrumpfen lassen.
Ich konnte es in meiner Faust zusammendrücken
zu unsichtbaren Blutmännchen,
auch Blutwürfel, Blutkegel, die tanzten.

Diese Frau war zuerst nur ein Foto gewesen,
immer wieder zwischen Versen aufgetaucht,
mit dunkel geschminkten lachenden Lippen.
Ich hatte sofort ihren sehr blauen Augen vertraut,
der ein wenig verwischten Augenumrandung,
den zum Kinn hin gebürsteten Haarspitzen.

Es war ihr geneigter Kopf,
der mein Blut stoppen konnte, die bloßen Schultern,
die Andeutung eines starken Willens
zur Umwölbung aus der Ferne.

Sie lag auch auf einer Couch,
nicht mit mir, einem nackten Tätowierten,
der niemals ich sein könnte;
ich bin ein Blutmann, kein Tattoomann,
keiner mit Hautverwandlungsphantasien.

Und dann so klein und kleinmädchenhaft
mit aufgestützten Armen im Schlafanzug
nach rechts blickend hin zu dieser Figurenkontur,
in die ich nie hineingepasst hätte.

Ich hatte sie gebraucht zur Niederhaltung der Angst,
die in mir aufstieg unter dem grünen Papiertuch,
wo mich der Bluttransport in meinem Körper ängstigte,
wo ich mich als allgemeine Blutquelle erfuhr,
während die draußen an mir herumwerkten.

In diesem linsenlosen Moment, im Gleißen,
das nicht zu vermeiden war,
war dieser Satz plötzlich nicht mehr gültig:
Wir glaubten an das Blut.

Das eine Wir hatte einen Gips am Fuß,
der nur maximal Dreiviertelschritte erlaubte;
das andere lag da und dachte nur:
Schluß damit, kein solches Licht

(2014)

(Erschienen in: Der zarte Leib, Edition Korrespondenzen, 2015)

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