0125 - PESSIMISMUS UND ERFAHRUNG 11

11

du bist der vorwurf in person, sag ich, schreibst du, solche bestätigungen brauchst du doch.
du bist wirklich arm, wir leben in der tat in einem kriegszustand.
vor deinem schlafzimmer ist ein minengürtel, zu deinem bett führt eine tödliche eisbahn.
der wolkenbruch geht zurecht in dieser stunde nieder, ich hab es nicht anders verdient.
nasse haare fördern die gehirnkrankheiten, immer unter der gewitterwolke dahinzugehen, ist ein dräuende verrücktheit.
eine klare linie ist ein halbes programm.
es ist was in der welt, sagt die großmutter, es ist.
ich kann dir nur immer wieder sagen, daß du verrückt bist, verrückt in einem ganz besonderen sinn, sag ich, dein körper ist durch & durch neurotisiert.
& sie sagt, du kennst doch meinen körper gar nicht, jedenfalls nicht in vergleich zu meinem, & welch ungeheurer betrug das alles sei.
& ich sage, ganz recht, sie betrüge sich & mich um die gegenwart & die zukunft, weil sie doch alles von einem datum abhängig mache, noch dazu von einem, wo mein leben auf eine besondere weise intensiv verlaufen ist, zwar nur ein paar tage, aber das sei unvergleichlich gewesen.
& sie sagt, aber die struktur bleibe für sie die gleiche.
& ich sage: jetzt, wo du mich erkannt hast, so, wie du mich vor jahren hättest erkennen müssen, was soll das alles?
ich weiß, ich will trotz der anscheinenden sinnlosigkeit weiterleben, das prinzip hoffnung läßt sich nicht so einfach abwürgen, jetzt, wo ich doch eine art kehrtwendung vollzogen habe, allerdings nicht von der wirklichkeit weg, so wie du, sondern ich stehe dazu, auch wenn ich mir erbärmlich & göttlich zugleich vorkomme, stehe ich dazu, daß ich gelebt habe, ohne zu räsonnieren, ohne soziale bedenken, doch das leider nur so kurze zeit.
was gefolgt ist, sei nicht eine folge, sondern eine zwischenzeit zwischen ungeheuren dingen, dingen von ungeheurer wichtigkeit, menschlichkeit, was sie aber verneinen müsse, da sie ja eine ganz andere art von menschlichkeit im auge habe, eine ganz andere art von narzißmus.
& sie beginnt in der küche herumzuwerkeln, nachdem sie sich ausgeschlafen hat.
sie kommt mit einem unmotiviert ruhigen gesicht durch die tür.
während mich die folgen der gespräche körperlich spürbar plagen, hat sie sich für eine weile abgeschüttelt & kann wieder ihre ehemals heile welt zwischen herdplatte, kühlschrank & abwasch betreten, sich auf das rote stockerl setzen & erdäpfel schälen, schreibst du.
der herzförmige erdapfel, den ich ihr einmal geschenkt habe, ist inzwischen runzlig geworden, hat aber absurderweise drei lange grüne triebe produziert, wovon einer schon bei der ersten berührung abbricht usw. usf.

(15.-30.5.1972)

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