Licht, Schatten

Mittwoch, 22. Juni 2011

L-05 WILLE DES KREATORS

falsche Uhrzeit, auf der Taskleiste, plötzlich -
richtig gestellt, ohne viel zu denken,
so jedoch ein Tor in die Zukunft öffnend,
die nur ein einziger Tag war, denn an diesem,
dem sechsten, sollte der Angriff erfolgen, dessen,
der sich Kein-Verteidiger-der-Armen nannte.
Abarbeiten sollte ich mich bis zum Geht-nicht-mehr!
Tat es, eilfertig, der Magen auch: Säure bis zum Hals.
So saß ich, so lief ich herum. Der Angriff
geschah aus der Zukunft, also rückwirkend:
da in Wirklichkeit noch gar nicht eingetreten,
mit grausamen Folgen: Verlust von originären Dateien
in Fülle. Zwinkern der Unaufmerksamkeit,
den Wink mit dem Zaunpfahl, von Asien her,
nicht verstanden. Lächelnde Trösterin,
die in ihrer Kammer auf Nachrichten wartete,
empfänglich für alles: Forderungen,
Hinhaltemanöver, Anflüge von Absichten,
aus der Anonymität herauszutreten, unwiderruflich.
Wille des Kreators - zermürbend hörbar
an der Tätigkeit der Festplatte, durch nichts
zu stoppen. Verließ das Zimmer, kam wieder zurück:
unschlüssig, voller Zweifel, alles eine geplante Falle.
Zwischen Traum und Erwachen
ging alles verloren: vom nächsten Morgen her
der unangreifbare Wille, das Werk von Jahren
in wenigen Minuten überschreibend,
ohne die äußere Ordnung anzurühren –
Kunstwerk, aus unerreichbarer Ferne exekutiert

(Dienstag, 07.05.2002)

(Blick ins Nebenzimmer: Nullo nullo 14)

Montag, 20. Juni 2011

L-04 NIEDERSCHREIBER

er wischt ihr den Mund sauber,
er badet und küßt sie, deren einzige Bedeutung
im Wahnsinn, Weltverzicht liegt,
im Zustand des Vergessens.

Jeden Augenblick geht alles zugrund,
während der Niederschrift ihrer Hirnströme.
Es genügt zu lesen, bewacht zu werden,
Gehorsam, bis zu immerwährenden Tränen,

im schwarzen Raum oberhalb des Meers.
Zwischen Schlaf, nutzlosen Tröstungsversuchen,
Blutuntersuchungen, ergeben ausgemalten
Delirien. Zersplitterte hellgrüne Stiegen,

hochhakige schwarze Stiefel, zum Nachthemd.
Manchmal ist die Besitzergreifung zuend,
die Verwirrung der Einbildungskraft:
schrundige schwarze Tiere auf Simsen,

zwischen weißen Gittern, in der Fußbodenritzen;
grüne, auch blaue Männer, Transsexuelle,
als Verfolger, sehr klein, langnäsig; überall
bröckelnde Häuser, Spiegel, zerschmettert.

Er badet und küßt sie, die Regentin der Sätze,
unermüdlich alternd. Er schenkt sich ihr,
seine belanglose Jugend, seine Liebe
wider die Satzzerrüttung, zum Diktat

(2006)

(Blick ins Nebenzimmer: Nullo nullo 13)

Freitag, 10. Juni 2011

L-03 LICHT, SCHATTEN

soll der scharf trillernde unsichtbare
Vogel mich jetzt aus dem Fenster locken?
Ist er ein Lockvogel, hinaus aus der
gegenwärtigen Lage: Vergangenes,
Vergänglichkeit, die wehtut, als Plan,
auch als Gefühlskontinuum, nur
durch unerkannte Träume unterbrochen?

Schon wieder der Atem der Schläferin,
die ich selbst sein könnte, zurückgelassen
in ihrem Geschlecht, auch endlich in der
wahren Natur ihrer Erkenntnisse, der natür-
lichen Überwachung dessen, was hinter
mir liegt mit fluoreszierenden grünen Algen.

Sie, in ihrem inneren Auge - eine wunderbare,
riesige, leuchtend grüne Fläche, mit einer
Sonne, die Sonnenwind hinter sich her schleppt,
riesige Baumschatten, völlig unvorhersehbar
hin- und herzuckend, hypnotisches Licht- und
Schattengeflimmer, durchstochen von Vögeln,
ihr scharf trillerndes Kielwasser hinter sich.

Das alles mitten im Stadtpark, dem, was ich
dafür halte, in der erträumten Oase: erinnerte
Landschaftsmalerei, Mischung aus Botticelli,
van Eyck, da Vinci. Wie sie das sagt, noch im Schlaf,
während sich zwischen den zurechtgeschobenen
Vorhängen zum Zenith hin der Himmel klärt

(2007)

(Blick ins Nebenzimmer: Nullo nullo 05)

Mittwoch, 8. Juni 2011

L-01 FELICITÀ

dieser Onkel ist meiner und auch
nicht. Er ist deiner. Er ist keiner.
Keiner, der hier ist im roten Hemd.
Ich sah ihn im roten Hemd,
mit roter Krawatte, roter Hose.
Er war es nicht. Seine linke Gesichtshälfte
voller Blut. Er lag auf dem Weg.

Er lag im Bett im Spital.
Nichts bewegte ihn, er fragte
unentwegt, pries das Glück,
felicità. Er sprach kein Wort
Italienisch – felicità. Auch kein
ottimismo umorismo. Er,
ein Optimist ohne Humor. Er lachte,

als er dort saß, an Tischen,
in der Geburtstagskutsche,
vor den Lokomotiven, die nicht fuhren.
Er schaute und lachte. Lag
auf dem Boden, wie tot, tot; lachte,
bis ihm die Gläser wegflogen,
die Augen, die Hände. Er griff,

umgriff seinen Stock, erhob sich.
Zornig riß er die Geige an sich,
angelte sich eine Geigerin
aus der Damenkapelle – nur für ihn
spielten sie, tanzten sie, aßen sie
die Torte auf, Stück für Stück.
Sie redeten, bis er schwieg

(2006)

(Blick ins Nebenzimmer: Nullo nullo 03)

Sonntag, 22. Mai 2011

L-10 TOPF

der Topfwaschel im Hinterkopf,
er reibt und reibt
(und der Finger, er blutet und blutet),
ohne die schwarze Kruste
wirklich wegzukriegen.
Rieb in Abständen,
mit Schwämmen, Wascheln und Bürsten.
Der Topf, mit seinem Innentopf,
war immer am Herd gestanden,
unten Wasser, drüber Erdäpfel.
Irgendwann Gestank, Rauch
aus dem Erdgeschoß. Dort dann
geräucherte Erdäpfel, säuerlich.
Die landen im Klo,
im Mistkübel der Topf

(Mittwoch, 27.06.2001, 10.10 Uhr)

(Erschienen in: Obachter, Edition Korrespondenzen, 2007)

(Blick ins Nebenzimmer: Essere etrusco 23)

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