D-03 KÖNIGE EINHORN 1
Könige, sagte sie, Judäer, ihre
Köpfe, zerschunden, abgeschürft,
augen- und kinnlos, halb-
seitig in der kollernden Zeit,
entmenschlicht: oder eigentlich
schon immer wie aus Stein in
ihrem Gehabe, jetzt nicht mehr
überprüfbar: diese Steinköpfe,
sagte sie, in dem wunderhellen Licht,
das einen bleibenden Schimmer erzeugt,
weiche, tagtraumhafte Plastizität
in diesem Saal, wo ihre Häupter
wie die von Geköpften zu dritt oder
viert ein wenig von oben herab,
und das auch wegen ihrer Über-
lebensgröße, sagte sie: also diese
Steinkönigshäupter, die sie
umgaben, um sie anzuhauchen
mit fröhlichem Todeshauch,
mit der lautlosen Mahnung,
nie wieder zu flüchten
vor einem Anblick, der sie so verstörte
wie die enthaupteten Rümpfe daneben,
als wären sie in einem ihrer bedeutungs
schwangeren Faltenwürfe festgefroren:
ein Jammer, der doch keiner war,
weil sie ja Lust gestreift hatte,
Übermut, Aufbegehren über die
Zeiten hinweg: sie sah sich nun
frei, befreit vom Klammerherz,
um sich zu öffnen. Und sie konnte ihren Blick,
sich selbst wieder abwenden, ohne
Schrecken. Und licht,
leichten Schritts,
kam das Einhorn
(Dienstag, 6.4.1999, 1.30 Uhr)
(Erschienen in: Das leere Kuvert, Bibliothek der Provinz, 2002)
(Blick zum Nachbarn: Freaks Nr. 34.)