Sonntag, 5. Juni 2011

D-10 DIESES AFRIKA DA

dieses Afrika da
ist schwarz-weiß, quadratisch, flach
und völlig durchkomponiert.

Dieses Afrika da:
ein uralter Schwarzer mit Hut,
ertappt mit fröhlicher Miene,
wie er an die Tür mit der Nummer 12 pocht;
ein Rosenvorhang rechts neben der Säule
versperrt den Blick in das Zimmer.

Dieses Afrika da:
ein Gärtner mit Elefantenohren
(wie in einem Film, wo jemand sagt:
Du mit deinen ... und höllisch zu lachen beginnt):
er lacht wie die Frau,
die den neben ihr Ausgerutschten
an einem Hemdzipfel festhält,
während über seine rechte Schulter
ein ausgehungerter Hund heraufschnappt – wonach?

Dieses Afrika da
zeigt auch zwei Angestellte der Stadt
vor einem schäbigen Wellblechtor:
sie lächelnd, die strammen Brüste
über dem sackgroßen Bauch unter Streifen,
die ihn noch vergrößern, hervorwölbend,
und er, den Kopf zu ihrer Schulter hin geneigt,
die Äuglein nach oben gerichtet,
simuliert mit eingesogenen Lippen listige Ergebenheit.

Dieses Afrika da
führt zu Leah und Illona, zwei Schwestern,
in ihre düstere Küche
mit Plastikboden und einem altmodischen Kochherd:
Leah schwingt ihren Kopf
über dem mächtigen Leib zurück,
kreischt lauthals, so,
daß Illona auf dem Stühlchen links neben ihr versinkt,
jedoch mitlacht, noch offener, gerade heraus
in die Augen des Fotografen,
der auch gleich einen Blick
auf die Plastiktasche auf dem Boden wirft,
die zermatschten Kugelfrüchte darin.

Dieses Afrika da
läßt zwei Burschen an eine wackelige Mauer treten,
mit einer aus Kinderwagenteilen zusammengebastelter Leiter,
der linke den anderen schiefköpfig beäugend,
ihn stoßend; der aber finster
mit seiner Linken den Rohrrahmen würgt,
während ein massiger Mann sich von hinten nähert,
auf eine höchst zweideutige Weise
mit Drähten hantiert.

Dieses Afrika da
endet abrupt bei einem Sicherheitsbeamten,
auf dem durchhängenden Bett
hinter einer sitzenden Frau,
ihrem verschwollenen Schlangengesicht -
stemmt die eine Hand in die Hüfte,
während er mit der andern einen Schlagstock umklammert
und dabei aus der schwarzumrahmten Brille
die glitzernde Haarpracht unter ihm fixiert.

Dieses Afrika da,
in der Rue Quincampoix in Paris,
ist tatsächlich nur schwarz-weiß,
quadratisch, flach, völlig durchkomponiert
und verschließt sich vor mir
mit einem schrillen Klick

(Mittwoch, 21.4.1999, Paris)

(Erschienen in: Das leere Kuvert, Bibliothek der Provinz, 2002)

(Blick ins Nebenzimmer: Campo di urne 08)

User Status

Du bist nicht angemeldet.

Free Text (1)

Dieses Weblog wird hier archiviert.

Archiv (ab 1967)

Lyrikbände:

Der zarte Leib

Friede den Männern

Das leere Kuvert

Eurotunnel

Obachter

Schreibzimmer

Romane:

Die Berliner Entscheidung

Originalverpackt oder mit Widmung über e.a.richter(ett)gmx(punktt)at erhältlich.

„...Dies ist der Versuch eines komprimierten Familienromans, zugleich ein Reisebericht, der an einen Ort führt, wo die Kriegsschäden an den Menschen und deren Behausungen noch unverhüllt sichtbar sind. Lena und Stefan, von den gegensätzlichen Seiten der Geschichte kommend, unternehmen, sich zwischen Überlebenden und deren Nachkommen bewegend, einen Versöhnungsversuch...“ (Klappentext)

Fliege. Roman eines Augenblicks

Aktuelle Beiträge

0126-1b A KIND OF DEPARTURE
the lady of the house speech-impaired since an incomprehensible...
e.a.richter - 2015-12-30 07:09
0126-1a AUCH EIN ABGANG
die gnädige frau sprachgestört wohnt sie seit einem...
e.a.richter - 2015-12-26 03:43
0107a - THE TEACHERS
the teachers leave the school the prettiest teacher...
e.a.richter - 2015-12-23 21:27
DT-001 FETISCH
(YVONNE) ihre weiße Bluse steif, ein Fetisch, der...
e.a.richter - 2015-12-21 12:12
DZL-18 DAS BETT
das Bett, das alles verraten wollte und nichts verriet:...
e.a.richter - 2015-10-07 04:22
DZL-17 PUPPI
was zu sehen ist, in einzelne Stücke zerlegen; alle...
e.a.richter - 2015-06-02 08:44
DZL-01 WIR GLAUBTEN AN...
wir glaubten an das Blut. Dieses Wir ist mit Vorsicht...
e.a.richter - 2015-05-07 13:59
DZL-02 MEIN PATTEX
mein Zauberer hieß nicht Pattex, nicht Expatt. Er lebte...
e.a.richter - 2015-05-07 13:58
DZL-03 DER ZARTE LEIB
Zartleibigkeit wird vermißt, auch intensive Zartlebigkeit....
e.a.richter - 2015-05-07 13:56
DZL-04 - ZU MEINER ZEIT
zu meiner Zeit war gar keine Zeit. Die Zeit hatte sich...
e.a.richter - 2015-05-07 13:55
DZL-06 IN DIE HÖHE SINKEN
schwierig zu lesen: Er begriff seine Geschichte. Blatt...
e.a.richter - 2015-05-07 13:53
DZL-07 TISCHLERPLATTE
mein Vater, Tischler, hatte keine Tischlerplatte, er...
e.a.richter - 2015-05-07 13:52
DZL-08 GOLD, GLANZ, HEITERKEIT
sie sagt, ich bin älter als mein Vater, als er zu...
e.a.richter - 2015-05-07 13:51
DZL-09 WIR GLAUBTEN AN...
wir glaubten an das Blut. Dieses Wir ist mit Vorsicht...
e.a.richter - 2015-05-07 13:51
DZL-10 BRAUTMASCHINE
ein Mann braucht nur eine Wand und eine Braut. Er braucht...
e.a.richter - 2015-05-07 13:50
DZL-11 SCHWIMMERIN
wenn sich das Tor geöffnet hat, fährt allen in ihren...
e.a.richter - 2015-05-07 13:50
DZL-12 FRESSEN UND WUCHERN
Gedichte zu fressen ist nicht meine Sache. Ich lese...
e.a.richter - 2015-05-07 13:49
DZL-13 KONTROLLE VERLIEREN
Kontrolle verlieren, im Nebenraum, wo alles aufgetürmt...
e.a.richter - 2015-05-07 13:49
DZL-14 MUNDSCHUTZ FÜR...
es begann mit strahlenden Augen, auf einer Schnitzerei...
e.a.richter - 2015-05-07 13:48
DZL-15 JUNGE FRAUEN...
dem kleinen Mann macht die Situation einen Gefallen: zwei...
e.a.richter - 2015-05-07 13:48

Free Text (2)

Free Text (3)

Archiv

Juni 2011
Mo
Di
Mi
Do
Fr
Sa
So
 
 
17
19
21
23
25
27
29
30
 
 
 
 

Suche

 

Status

Online seit 4850 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 2016-01-06 11:08

Credits


A Roma etc.
Das leere Kuvert
Der zarte Leib
Detonation und Idylle
Die Berliner Entscheidung
Erste Instanz
Eurotunnel
Fliege (Notizen)
Friede den Männern
Jetzt
Licht, Schatten
Namen
Obachter
Pessimismus & Erfahrung
Schreibzimmer
Stummfilmzeit
... weitere
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren