Donnerstag, 16. Juni 2011

EU-09 NIEMAND

niemand, den ich kenne, ist hier.
Jeder, der hier ist, kennt mich nicht.

Einige reden, Kinder murmelnd
im Schlaf, mit dem Kopf auf dem Eßtablett.

Euro-Lille. Rauschen im Tunnel. Hin und wieder
Maschinengeräusch, Holpern und Hämmern.

Schlagend entfernen sich Gonesse, die Seufzer der Toten.
Schöner weißer Vogel, der aufflog,

um sofort Feuer zu fangen:
Schock, der alle erfaßt, noch auf dem Kontinent.

Wolframpartikel, das zwölfte Element.
Quarks, Leptonen, Standardmodell:

Billionen Neutrinos, die mich sekündlich durchblitzen,
auch im Rückblick durch die Jahrzehnte,

auf Nietzsche, den Jungen: plötzlich sitzt er hier neben mir,
unmerklich einem Netzhaut-Sternchen entsprungen.

In keiner Nacht des durchsickernden Wahnsinns,
in keiner Postkutsche im Sturm, wie er.

Kein Mensch wie er, nicht Dynamit,
ohne heftiges Erbrechen, nur unter Wasser, im Tunnel.

Etwas Druck in den Ohren, man muß schlucken.
Nicht auf dem Markusplatz, ohne Militärmusik, Austern.

Auch kein Weinender
zu Füßen eines zutode geschundenen Pferds.

Nicht abend-, schattenwärts -
nach Westen, hinein ins vorweggenommene Licht.

So durchsticht die Poren Luft,
sammelt sich als Schwimmkörper darunter.

Kein Triumphzug durch die Waggons
unter einer unsichtbaren Narren- oder Schilehrermütze.

Und die Schwarze Madonna, Mitbringsel aus Brüssel,
die in meinem Wachtraum lächelt,

aus rosa umrahmten Augen,
wird nicht meine Pflegerin sein.

Niemand, den ich kenne, ist hier.
Jeder, der hier ist, kennt mich nicht.

Völlig unspektakulär der Durchstoß:
Ashford, Gebüsch, Felder in Streifen.

Ruhiger Horizont,
besetzt mit Frauen

(Donnerstag, 2.8.2000, 12.55 Uhr, Eurostar, nach Ashford)

(Erschienen in Eurotunnel, Literaturedition Niederösterreich, 2005)

(Blick ins Nebenzimmer: Nullo nullo 11)

User Status

Du bist nicht angemeldet.

Free Text (1)

Dieses Weblog wird hier archiviert.

Archiv (ab 1967)

Lyrikbände:

Der zarte Leib

Friede den Männern

Das leere Kuvert

Eurotunnel

Obachter

Schreibzimmer

Romane:

Die Berliner Entscheidung

Originalverpackt oder mit Widmung über e.a.richter(ett)gmx(punktt)at erhältlich.

„...Dies ist der Versuch eines komprimierten Familienromans, zugleich ein Reisebericht, der an einen Ort führt, wo die Kriegsschäden an den Menschen und deren Behausungen noch unverhüllt sichtbar sind. Lena und Stefan, von den gegensätzlichen Seiten der Geschichte kommend, unternehmen, sich zwischen Überlebenden und deren Nachkommen bewegend, einen Versöhnungsversuch...“ (Klappentext)

Fliege. Roman eines Augenblicks

Aktuelle Beiträge

0126-1b A KIND OF DEPARTURE
the lady of the house speech-impaired since an incomprehensible...
e.a.richter - 2015-12-30 07:09
0126-1a AUCH EIN ABGANG
die gnädige frau sprachgestört wohnt sie seit einem...
e.a.richter - 2015-12-26 03:43
0107a - THE TEACHERS
the teachers leave the school the prettiest teacher...
e.a.richter - 2015-12-23 21:27
DT-001 FETISCH
(YVONNE) ihre weiße Bluse steif, ein Fetisch, der...
e.a.richter - 2015-12-21 12:12
DZL-18 DAS BETT
das Bett, das alles verraten wollte und nichts verriet:...
e.a.richter - 2015-10-07 04:22
DZL-17 PUPPI
was zu sehen ist, in einzelne Stücke zerlegen; alle...
e.a.richter - 2015-06-02 08:44
DZL-01 WIR GLAUBTEN AN...
wir glaubten an das Blut. Dieses Wir ist mit Vorsicht...
e.a.richter - 2015-05-07 13:59
DZL-02 MEIN PATTEX
mein Zauberer hieß nicht Pattex, nicht Expatt. Er lebte...
e.a.richter - 2015-05-07 13:58
DZL-03 DER ZARTE LEIB
Zartleibigkeit wird vermißt, auch intensive Zartlebigkeit....
e.a.richter - 2015-05-07 13:56
DZL-04 - ZU MEINER ZEIT
zu meiner Zeit war gar keine Zeit. Die Zeit hatte sich...
e.a.richter - 2015-05-07 13:55
DZL-06 IN DIE HÖHE SINKEN
schwierig zu lesen: Er begriff seine Geschichte. Blatt...
e.a.richter - 2015-05-07 13:53
DZL-07 TISCHLERPLATTE
mein Vater, Tischler, hatte keine Tischlerplatte, er...
e.a.richter - 2015-05-07 13:52
DZL-08 GOLD, GLANZ, HEITERKEIT
sie sagt, ich bin älter als mein Vater, als er zu...
e.a.richter - 2015-05-07 13:51
DZL-09 WIR GLAUBTEN AN...
wir glaubten an das Blut. Dieses Wir ist mit Vorsicht...
e.a.richter - 2015-05-07 13:51
DZL-10 BRAUTMASCHINE
ein Mann braucht nur eine Wand und eine Braut. Er braucht...
e.a.richter - 2015-05-07 13:50
DZL-11 SCHWIMMERIN
wenn sich das Tor geöffnet hat, fährt allen in ihren...
e.a.richter - 2015-05-07 13:50
DZL-12 FRESSEN UND WUCHERN
Gedichte zu fressen ist nicht meine Sache. Ich lese...
e.a.richter - 2015-05-07 13:49
DZL-13 KONTROLLE VERLIEREN
Kontrolle verlieren, im Nebenraum, wo alles aufgetürmt...
e.a.richter - 2015-05-07 13:49
DZL-14 MUNDSCHUTZ FÜR...
es begann mit strahlenden Augen, auf einer Schnitzerei...
e.a.richter - 2015-05-07 13:48
DZL-15 JUNGE FRAUEN...
dem kleinen Mann macht die Situation einen Gefallen: zwei...
e.a.richter - 2015-05-07 13:48

Free Text (2)

Free Text (3)

Archiv

Juni 2011
Mo
Di
Mi
Do
Fr
Sa
So
 
 
17
19
21
23
25
27
29
30
 
 
 
 

Suche

 

Status

Online seit 5057 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 2016-01-06 11:08

Credits


A Roma etc.
Das leere Kuvert
Der zarte Leib
Detonation und Idylle
Die Berliner Entscheidung
Erste Instanz
Eurotunnel
Fliege (Notizen)
Friede den Männern
Jetzt
Licht, Schatten
Namen
Obachter
Pessimismus & Erfahrung
Schreibzimmer
Stummfilmzeit
... weitere
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren