D-31 KLEINE MORGENEVOLUTION
dieser Tag am Fluß mit
trichterbauenden Ameisenlöwen;
an einer erstarrten Kröte schleifen
Nattern vorbei; lautlos in einen Igel
verkrallt sich ein Uhu, zerreißt ihn
unter dem Überhang für seine Jungen
in verdauliche Stücke; blauflügelige
Libellen verschwinden sekundenlang
im spiegelglatten Wasser, wo weiter draußen
zwei kleine Füchse tolpatschig paddeln;
langbeinige Wespen in Scharen -
stopfen grüne, genau passende Raupen
in Sandlöcher, verschließen sie sorgsam.
Doch hier bei mir Nachhallrauschen, Dachrieseln,
Westwind durch die porösen Mauern,
kalter Schauer. Vielleicht nur ein Warnbild
der Überlebensunruhe, zur Selbstklärung:
ich bezeichne die im Fenster erscheinende
Lichtspirale als Ersatz für die Schreibhand,
ihre Schraubbewegung, die sich entfaltet
zu einem planetarischen Kreis,
nach oben oder auch unten hin
offen, der saugt, ohne Erbarmen
(1999)
(Erschienen in: Das leere Kuvert, Bibliothek der Provinz, 2002)