D-33 JOURNAL 1
wieder viel zu viele Infobits während der Nacht?
Dabei ein so einfacher Traum: Da taumelte oder
schleppte sich jemand wie ich einen Hügel hinauf
neben stauenden Autos, pflaumenkauend;
überholte dann mühelos eine Gruppe viel Jüngerer, von denen
einer auf meine Socken zeigte und schrie: FKK! FKK!,
und ich, ich schmolz dahin vor Scham, hinterließ
nur ein Häufchen brennendes Zeug
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dieser Bauch, nur beim Anfassen fest, nicht beim Anblick:
so voll, so leer, ein solch großartiger Schlauch von Natur aus,
Organ alltäglicher Eß-Quälerei: Joghurt, mild, mit Vanille;
und Rauchkarree, schon längst abgelaufen, Schweinefleisch,
Kochsalz, E250; dazu ein welker Salatrest von gestern,
Essigwasser, süßlich, und Kürbiskernöl; noch zwei Semmeln dazu,
eine mit Mohn, etwas zäh; und schon beim Aufstehen
probiotischer Fitneßdrink Orange. Die Banane, goldgelbes
Mondsichel-Imitat, wieder weggelegt – Vorrat fürs Lesen im Bett
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Lichtflecken auf dem Boden, an den Wänden, fächelnde
Schatten von Birkenästen. Undefinierte scharfe Kälte
oder kalte Schärfe im Magen. Summender Kühlschrank.
Porzellanweißes Püppchen, übersät mit Akupunkturpunkten,
am Rand des Westfensters, vor geschlossenen Jalousien.
Noch immer erstarrt, in sich versunken: Klavier, Fernseher,
Zimmerfahrrad, Korbbank, Sitzmöbel, krachledern.
Der stets leere sehr filigrane Käfig auf dem Regal.
Die unberührten Bücher im Halbrund. Ein Herz-Ei
aus Gips am Sockel der abgewandten Araberbüste.
Und draußen ab und zu eine kleine Bö, das Scharren
der Äste auf dem kopfnahen Blechdach
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nur dieser wüste Tisch führt direkt hinaus in die wirkliche
Welt: zu Ameisen-Robotern, Röntgen-Inferometern,
in Rhizosphären. Er verweist auf Schönheit und Logik:
die Kreiszahl Pi, ihre mysteriöse Dezimalentwicklung,
die Milliarden Nachkommastellen, die man kennt, ein Nichts
im Vergleich zu den noch unbekannten. Alles ist Membran,
liegt parat, verbirgt sich, kontert mit Fülle, Sog
(1999)
(Erschienen in: Das leere Kuvert, Bibliothek der Provinz, 2002)