Freitag, 10. August 2012

F-24 DAS MESSER IM KOPF MEINES VATERS

Unentrinnbar
seine weißen, seltsam flachen
Füße mit den verkrüppelten Nägeln
an den großen Zehen, sein Kopf
mit den hohlen Wangen, den langen
Ohren, den dunkel gewordenen Augen;
seine rechte, noch bewegliche Hand,
mit er der am Riemen zerrt,
der ihn ans Bettgitter fesselt,
immer wieder. Er flüstert,
kaum hörbar, mit spitzen
Lippen und trockener Zunge:
Messer, immer wieder: Messer,
das braucht er, damit er sich endlich
freischneiden kann, damit er endlich abfährt
mit seiner lieben Bahn, weg
aus diesem lieblosen Raum,
diesem Alptraum, bevölkert
mit Ärzten, die beim Baden
mit Bleikugeln auf ihn schießen,
Schwestern, die ihn ständig mahnen,
das eigene Begräbnis nicht zu versäumen.
Das ist mein Vater jetzt.
Unerträglich
der Gedanke, daß sein verordnetes
Dahinsiechen nicht heut noch
endet. Da pfeift schon
eine Diesellok vor seinem Bett:
nackt in seinem Kot, geschwind
kuppelt er sich an, gleitet hinaus
bei der Balkontür, stürzt ab
in die frisch aufgebrochene Baustelle,
sein narrensicheres Grab.

(1981)

(Erschienen in: Friede den Männern, Residenz Verlag, 1982)

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