DZL-01 WIR GLAUBTEN AN DAS BLUT
Dieses Wir ist mit Vorsicht zu betrachten:
Ich glaubte an das Blut,
das in meinem rechten Auge aufgetaucht war
und nicht verschwand.
Sie glaubte an mein blutiges Auge,
auch an ihre Schwarz-Weiß-Welt,
voller Symbole, Gleichnisse und Allegorien.
Wir diskutierten nicht, wir schrieben.
Die Zeiten der Gemeinsamkeit
spalteten sich auf in einen betriebsamen Tag bei ihr,
bei mir in die übertriebene Nacht.
Sie brach sich den Arm auf der Promenade,
ich ließ mir die Linsen tauschen.
Ich beschrieb diesen Vorgang viel genauer
als sie ihren sogenannten Hinfaller am See.
Ich sah durch die Plastikaugenabdeckung
auf die Brillensammlung, die nun völlig wertlos war.
Ich glaubte an das Blut,
das jetzt aus den Augen tropfte,
auch daran, daß sie die Regentin der Blitze war,
die beim Kopfschütteln rechts und links auftraten.
Ich ließ mein Privatleben reichlich nebelumwabert,
sie projizierte langjährige Treue-Hoffnungen auf mich.
Sie kannte nichts anderes als Bravheit
und Pflicht und Ausführung und Versäuberung.
Mir war das Blut wichtig,
man malt mit Blut, nicht mit Wasser.
Man lässt das eigene Blut in die Ferne schwappen,
um die in der Ferne Schreibende heranzuholen.
Dem geht immer auch eine Art Lüge voraus,
eine Art Hoffnung, schleichendes Verschleiern.
Und Eintrübungen, Verschwommenheiten
die sich über jedes Bild gelegt hatten,
erzeugten tagblinde Bilddissonanzen,
prächtige Sehängste, die völlige Blindheit prophezeiten.
Blut auch, das ich aus ihren Sätzen herausgepresst hatte.
Ohne Ekel noch Lust, es aufzuschlürfen,
es war so abstrakt, so kalt, so klebrig, so unnachahmlich nicht ich.
Wäre es heiß gewesen, wär es augenblicklich
auf mich übergesprungen, mit einem Bilderregen.
Fraglich, ob ich mir diese fundamentale Nässe
gewünscht hatte, in dieser kurzen Zeit.
Mit Blut hatte ich die Zeit gedehnt,
aber auch schrumpfen lassen.
Ich konnte Blut in meiner Faust zusammendrücken
zu unsichtbaren Blutmännchen,
auch Blutwürfel, Blutkegel, die tanzten.
Ich brauchte kein Imponiergehabe vor ihr,
sie war ja gar nicht da.
Es war diese Frau gewesen, auf einem Foto
zwischen Versen wieder aufgetaucht,
mit dunkel geschminkten, weit auseinander lachenden Lippen.
Ich vertraute ihren sehr blauen Augen,
der ein wenig verwischten ägyptischen Augenumrandung,
dem geneigten Kopf, den zum Kinn hin gebürsteten Haarspitzen.
Es war ihr geneigter Kopf,
der mein Blut stoppte, die bloßen, hochgezogenen Schultern,
die Andeutung eines Willens zur Umwölbung aus der Ferne.
Dann dieselbe auf einer klapprigen Couch,
wie sie sich einem fast nackten, vielfarbigen Mann zuwendet,
der niemals ich sein kann,
ich bin ein Blutmann, kein Tattoomann,
keiner mit Hautverwandlungsphantasien.
So klein und kleinmädchenhaft
mit aufgestützten Armen im gelben Schlafanzug
nach rechts blickend hin zu dieser Figurenkontur,
in die ich nicht hinein gepasst hätte.
Ich hatte Loch gedacht, aber es mußte Kontur sein.
Die hatte ich ja auch gebraucht zur Niederhaltung der Angst,
die in mir aufstieg unter dem grünen Papiertuch,
wo mich der Bluttransport in meinem Körper ängstigte,
wo ich mich als allgemeine Blutquelle erfuhr,
während die draußen an mir herumwerkten.
In diesem linsenlosen Moment, im Gleißen,
das nicht zu vermeiden war,
stürzte dieser Satz in mir zusammen:
Wir glaubten an das Blut.
Das eine Wir hatte einen Gips am Arm,
der nur maximal eine Dreivierteldrehung erlaubte;
das andere lag da und dachte: Schluß damit, kein Licht
(Freitag, 21.3.2013)
(Zum Unesco-Welttag der Poesie)
(Erschienen in: Der zarte Leib, Edition Korrespondenzen, 2015)