Dienstag, 24. Februar 2015

DZL-12 FRESSEN UND WUCHERN

Gedichte zu fressen ist nicht
meine Sache. Ich lese langsam.
Ich verweigere das Lesen, oft auch das Essen.

Zur Not kommt in den Nächten so etwas
wie Kulturhunger zutage: hungrig
zu sein nach etwas nicht genau zu Definierendem,

in dem sich das Weiteste mit dem Nächsten verbindet,
die Pflanze mit dem Objekt aus dem Kuipergürtel.
Auch die Pflanze würde ich nicht fressen,

nicht weil sie nicht schmeckt oder noch grün ist:
ich habe sie schon so lang als Genossin akzeptiert,
dass sie ein Teil von mir zu sein scheint,

eine Leibesknospe. Vielleicht ist es deshalb
ein pflanzlicher Geruch, der mir entströmt.
Ich verströme mich schon jetzt als zukünftiges

Sediment, staubförmig oder als Film, der sich irgendwo
festsetzt und wuchert. Gedichte wuchern nicht.
Gedichte sprießen aus unterirdischen Quellen,

die wiederum sich von Metaphern nähren.
Ich hasse Metaphern, weil sie ein verkehrtes
Weltbild erzeugen: das allseits Zusammenhängende

ist zugleich das allseits Verdrängte.
Der enthüllende Wohlklang ist eine Leibeseigenschaft,
die sich im Lesen ereignet, als eigene geduldige Zutat

(2014)

(Erschienen in: Der zarte Leib, Edition Korrespondenzen, 2015)

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