0075a - SCHLAGZEILENGEDICHT: seite eins
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(so.3.5.1970)
(aus dem wortmaterial der schlagzeilen der ausgaben von KURIER und PRESSE vom 2./3. mai 1970.)
(Blick ins Nebenzimmer: Nullo nullo 15)
Goldene Gelegenheit
"Ich werde nicht der erste amerikanische Präsident sein, der einen Krieg verliert", hatte Lyndon Johnson gelobt und rechtzeitig auf eine neue Kandidatur verzichtet.
"Ich will lieber ein Präsident mit nur einer Amtsperiode bleiben", gelobte nun sein Nachfolger, "als ein wiedergewählter Präsident, der Amerika zu einer zweitrangigen Macht degradiert sieht, die zum erstenmal In ihrer stolzen 190jährigen Geschichte eine Niederlage erleidet."
Am vorigen Donnerstag uni 20 Uhr Ortszeit verkündete Richard Milhous Nixon live über das amerikanische Fernsehen: "Heute abend werden amerikanische und südvietnamesische Einheiten das (in Kambodscha gelegene) Hauptquartier für die gesamten kommunistischen Militäroperationen in Südvietnam angreifen."
Zur selben Zeit waren bereits mehrere tausend Gis zu Lande und In der Luft unterwegs. Amerika intervenierte offiziell in Kambodscha. Nach sechs Jahren -- fünf Jahren Eskalation und einem Jahr De-Eskalation -- wurde Amerikas Vietnamkrieg doch noch größer. "Jetzt ist es der Indochinakrieg", schrieb "Newsweek" in Vorahnung des Kommenden bereits letzte Woche auf sein Titelbild.
Die Militärmaschine der Weltmacht Amerika hatte in Vietnam zwar den Dschungel entlauben, die Dörfer verbrennen und schätzungsweise eineinhalb Millionen Vietnamesen töten können. Doch selbst 550 000 amerikanische Soldaten (so der Höchststand im Frühjahr 1969) hatten die Entscheidung nicht erzwungen. Die amerikanische Nation, schon in Schwarz und Weiß, Slumbewohner und Vorstadt-Reiche, zerrissen, teilte sich noch einmal in jene, die ein Ende des Krieges auch ohne Sieg fordern, und jene, die durchhalten wollen, da Amerika noch keinen Krieg verloren hat.
Amerika verlor in Vietnam nicht nur über 40 000. Soldaten und über eine halbe Billion Mark. Es büßte auch seine moralische Glaubwürdigkeit ein, es konnte seine Städte nicht sanieren und seine Ordnungsfunktionen in anderen Teilen der Welt nur noch begrenzt wahrnehmen.
Deshalb versprach der neue Präsident Richard Nixon, seit Januar 1969 im Amt, er werde Amerika aus der Verstrickung des asiatischen Krieges lösen. Tatsächlich zog Nixon bislang über 120 000 Mann ab. Im Mai 1971 sollten, so kündigte er noch Mitte April an, nur noch 280 000 Amerikaner in Vietnam stehen.
Doch die "Vietnamisierung" des Kriegs hing nicht nur von Washington ab. Von Anfang an war klar: So leicht ist ein sechs Jahre lang geführter asiatischer Landkrieg nicht loszuwerden. Wenn Stärke und Kampftätigkeit des Gegners zunahmen, mußte die dann entstehende Gefahr zum Stopp des Abzugs oder gar zu neuer Eskalation führen. 550 000 GIs und eine Million südvietnamesischer Soldaten hatten Südvietnam gerade noch halten können. 100 000 oder 200 000 Amerikaner weniger könnten das mühsam stabilisierte militärische Gleichgewicht ins Wanken bringen.
Am 18. März lösten rechte Offiziere unter dem Premier General Lon Nol im formal neutralen Kambodscha den vorsichtig zwischen Washington und
Hanoi lavierenden Staatschef Prinz Sihanouk ab. Das neue Regime verlangte, die Nordvietnamesen, die seit Jahren durch Kambodscha nach Südvietnam vorstoßen, sollten abziehen. Vietcong und Nordvietnamesen eroberten den östlichen Teil Kambodschas.
Daraufhin forderten Amerikas Militärs den Präsidenten auf, er solle die "goldene Gelegenheit" nutzen, die Schlupfwinkel des Vietcong in Kambodscha ein für allemal auszuräumen und so den Vietnamkrieg entscheidend zu verkürzen (SPIEGEL 18/1970) -- Argumente, wie sie in ähnlicher Form auch zu Zeiten Lyndon Johnsons vorgetragen worden waren.
Das Beispiel Johnsons hätte Nixon eigentlich vorsichtiger reagieren lassen müssen. Doch der Präsident glaubte offenbar, daß er sich eine härtere Politik leisten könne: Die politische Agitation in Amerika ist im ersten Nixon-Amtsjahr spürbar zurückgegangen. Der Sommer 1969 wurde In den Negerslums nicht heiß, Amerika gewann verlorenes Ansehen zurück, Richard Nixon erhielt die besten Noten für eine meist umsichtige, eher auf kluges Management denn auf spektakuläre Unternehmungen gerichtete Politik.
Seit letzten Donnerstag aber ist Nixon wieder, was er früher war, "tricky Dicky": der trickreiche Präsident, der aus Vietnam abziehen will, aber In Kambodscha einfällt; der von Frieden spricht, aber den Krieg erweitert; der Entspannung will, aber neue Spannungen schafft. Die Kluft zwischen Nixons harter Innenpolitik und seiner behutsamen Außenpolitik schien sich zu schließen.
Zunächst schickte Nixon den Kambodschanern erbeutete chinesische Gewehre, dann -- am vorigen Mittwoch -- warf er auch amerikanische Hubschrauber, B-52-Bomber sowie Artillerie an die Front und schickte amerikanische Berater.
Offiziell unterstützte er damit allerdings nur die Südvietnamesen, die mit über 6000 Soldaten ins Land des verhaßten kambodschanischen Nachbarn eingefallen waren und von denen -- so ein Sprecher in Washington -- "die Initiative" ausging. Saigon durfte den massiven Angriff gegen den Vietcong deshalb auch ein paar Stunden eher als Washington bekanntgeben.
Tatsächlich aber war die Operation, wie nahezu alles, was in Südvietnam geschieht, von den Amerikanern schon zehn Tage zuvor erdacht und beschlossen worden -- wahrscheinlich, ohne daß die Kambodschaner ihre Zustimmung gegeben hatten.
Zwar hatte die US-Botschaft in Pnom Penh das neue Regime von einer bevorstehenden südvietnamesischen Operation unterrichtet. Doch als Reporter am Tag des Angriffs den kambodschanischen Militärsprecher Major Am Rong nach Einzelheiten fragten, zeigte sich: Die Kambodschaner kannten weder Ort noch Zeitpunkt der Operation, noch hatten sie ihre Einwilligung gegeben.
Denn das Regime Lon Nol wollte alles von Amerika haben -- nur keine Soldaten: GIs auf dem Boden von Kambodscha würden endgültig die mühsam aufrechterhaltene Fiktion als Schwindel entlarven, daß Kambodscha neutral sei. Truppen, so wünschte Lon Nol, sollten Indonesien oder Thailand stellen, Asiaten sollten Asiaten helfen.
Auf derart subtile Erwägungen mochten die Strategen in Washington keine Rücksicht nehmen. Wieder trugen sie vor, was -- In ähnlichen Worten -. auch Lyndon Johnson jahrelang hatte anhören müssen: Die Kommunisten in Südvietnam seien gegenwärtig so geschwächt, daß der Verlust ihrer überaus wichtigen Schlupfwinkel in Kambodscha schließlich doch noch zum militärischen Sieg der USA führen werde.
Vergebens warnte der demokratische Senator Mike Mansfield, allein durch die Unterstützung südvietnamesischer Operationen lege die Nixon-Regierung das "Fundament für eine Eskalation des Krieges". Edward Kennedy sprach von einer "Tragödie", wenn Amerika eingreife, sein Parteifreund George McGovern von einem "Alptraum".
Andere Senatoren kündigten an, sie würden im Kongreß den Antrag stellen, der Regierung alle finanziellen Mittel für Militärhilfe oder Operationen in Kambodscha zu sperren. Verteidigungsstaatssekretär Daniel Z. Henkin aber begründete die indirekte Hilfe für Kambodscha mit einer "erhöhten Bedrohung der Sicherheit der Streitkräfte der freien Welt in Südvietnam",
"Wenn diese ... Invasion Kambodschas nötig ist, um die amerikanischen und anderen 'Streitkräfte der freien Welt' in Vietnam zu schützen", so sorgte sich die "New York Times", "wie lange wird es noch dauern, bis man uns erzählt, nun müßten amerikanische Truppen nach Kambodscha einrücken, um die amerikanischen Berater und die "Streitkräfte der freien Welt" in Kambodscha zu beschützen?"
Es dauerte nicht einmal zwölf Stunden. Live aus dem Weißen Haus meldete sich der Präsident. Feierlich und ernst, fast dem Weinen nahe -- so wie Johnson bei Verkündung seiner folgenschweren Entscheidungen -- gab Nixon die Intervention bekannt.
Durch die Errichtung ihres Hauptquartiers auf kambodschanischem Boden, so begründete der Präsident den Marschbefehl, hätten die Kommunisten jahrelang "flagrant die Neutralität Kambodschas verletzt",
Daß es auch die USA mit Kambodschas Neutralität nicht so genau genommen haben, erwähnte Nixon nicht. Tatsächlich gab es Grenzübergriffe von Südvietnamesen und Amerikanern mindestens schon seit dem 29. Dezember 1967, als Sihanouk der "Washington Post" erklärte, er werde nicht intervenieren, wenn die USA die Kommunisten über die Grenze hinweg verfolgten.
Die Amerikaner richteten daraufhin nahe Banmethout im zentralen Hochland Südvietnams das Hauptquartier für ihr "Projekt Omega" ein. Von dort starteten Montagnard-Krieger in unregelmäßigen Abständen zu "hit and run"-Missionen gegen den Vietcong.
Amerikas oberster Kriegsherr behauptete vielmehr: Bislang habe die amerikanische Politik darin bestanden, "die Neutralität des kambodschanischen Volkes peinlich genau zu respektieren ... Fünf Jahre lang sind weder die Vereinigten Staaten noch Südvietnam gegen diese feindlichen Schlupfwinkel vorgegangen, weil wir nicht das Gebiet eines neutralen Landes verletzen wollten."
Der Einmarsch der alliierten Truppen, so beteuerte Nixon, stelle daher auch "keine Invasion Kambodschas" dar. "Wir treffen diese Maßnahme nicht zu dem Zweck, den Krieg nach Kambodscha hinein auszuweiten, sondern zu dem Zweck, den Krieg in Vietnam zu beenden und den gerechten Frieden zu erringen, den wir alle wünschen."
Mit der Hoffnung auf den Frieden hatte auch Nixons Vorgänger Johnson jede Eskalation seines Krieges begründet -- und sich immer weiter vom Frieden entfernt.
Frieden gibt es für Amerikas Präsidenten offenbar nur, wenn Amerika beim Friedensschluß Sieger ist. Wie Johnson beschwor nun auch Nixon die Sieger der Vergangenheit:
"Hier in diesem Raum hat Woodrow Wilson die großen Entscheidungen getroffen, die zum Sieg im Ersten Weltkrieg führten. Franklin Roosevelt traf die Entscheidungen. die zu unserem Sieg -- im Zweiten Weltkrieg führten. Dwight D. Eisenhower traf die Entscheidungen, die zum Ende des Koreakrieges führten und einen Krieg im Nahen Osten verhinderten. John F. Kennedy -- in seiner größten Stunde -- traf die wichtige Entscheidung, durch die sowjetische Atomraketen aus Kuba und der westlichen Hemisphäre entfernt wurden. Die Entscheidung, die ich heute abend verkündet habe, ist nicht von der gleichen Größenordnung."
Der Präsident versprach: "Wir werden uns nicht demütigen lassen. Wir werden nicht besiegt werden." Siegessicher tauften die Südvietnamesen ihren Angriff auf Kambodscha: "Operation complete victory".
Amerika aber teilte sich wieder in Falken und Tauben:
Senator Hatfield: "Unglaublich." Senator Goodell: "Abscheulich." Senator Proxmire: "Ein tragischer Fehler."
Senator Church: "Ein Krieg ohne Ende."
Senator Bennett: "Ein notwendiger Schritt."
Senator Fannin: "Ich stehe hinter ihm."
Senator Tower: "Die Logik der Aktion des Präsidenten ist unangreifbar."
Ob die Vietnam-Logik des amerikanischen Präsidenten nicht -- im Verein mit der Nahost-Logik der sowjetischen Führer -- eine Periode neuer Spannungen zwischen den Weltmächten eröffnet, war unmittelbar nach der Intervention durchaus offen. Die Wiener Gespräche über eine Begrenzung der strategischen Fernwaffen" die ersten Entspannungsbemühungen zwischen China und den USA und selbst die Ostpolitik der Bonner Regierung könnten in Mitleidenschaft gezogen werden.
Schon Nixons erste Voraussage für die Dauer des neuen Indochinakriegs scheint zwielichtig: Der Präsident will die Aktion gegen Kambodscha in vier bis acht Wochen beendet haben.
Schon nach vier Wochen aber müssen Amerikas Bodentruppen praktisch ohne Luftunterstützung kämpfen. Denn ungefähr Ende Mai beginnt in Südvietnam und Kambodscha die Regenzeit.
(Der Spiegel, 04.05.1970)