0158 - DER TOD IST KEIN WIENER

1

Der Tod ist kein Wiener (sag ich)
der Friedhof kein Maßschuh
für diese Stunde, diese windschiefe
Annäherung an scheinbare Jugendsünden:

Stacheldraht Irrlicht Mond Zypressen:
Ich will dich nicht verletzen, selbst
nicht verletzt werden: Ich übergehe
die Stockerln für den Teufel, Rastplätze,

falls ihm die gestohlenen Seelen
zur Last werden (sagst du), die Stückchen
Heimat, die Erinnerung an süße
Stunden, die sicherlich mit dir

nichts zu tun haben (sag ich):
Sitzabdrücke im Staub
auf den Stufen einer Wendeltreppe,
im Rücken das Perpendikel

der Kirchenuhr; ein Federwisch;
der mein Herzblut stocken läßt,
meine Hand einfriert
in der Bewegung zu deinen Brüsten (sag ich):

Auf den Zehenspitzen gehst du,
die nun ganz andere,
neben mir im erkaltenden Wind
die Gräbergassen hinab

zum Asphaltstern neben den Zisternen,
zu den Grablichtern, deren heftiges Blaken
dich ängstigt, verärgert
über meine Ironie

2

Es ist nicht wie früher (sag ich),
ich fühle keinen unergründlichen
Abgrund (sag ich), dein Widerstand
macht mich beschwingt

und listig, deine Lähmung
ist nur partiell und wird
ein sicheres Ende haben,
ich lasse mich nicht fallen

in eine Kontur von Platzwunden:
Die Gesichter überlagern sich.
die Haare flüstern.
die Lebensalter oszillieren.

Küsse sind eine unverwechselbare
Nebenerscheinung auf dieser Prachtstraße
aus schwarzem Marmor,
abweisende Versteinerungen

verloren gegangener Absichten:
Dein Dufflecoat ist eine Zwangsjacke (sag ich),
in der alle übertretenen Verbote
wüten, dir Schrecken einjagen,

das Nachschleifen deines linken
Fußes verstärkend: Das verschlossene Tor
neben dem Wächterhäuschen
mit der Stacheldrahtfalle

ist unüberwindlich (sagst du):
Der Riß im Zaun, das Dach
des Pissoirs sind die ersten zwei Stufen
unserer Flucht zurück in die Stadt

(Dienstag, 30.4.1982)

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