e.a.richter - 2012-05-13 12:51

Telefonzelle

Ich glaube, mich noch recht gut an die Situation, in der dieses Gedicht entstanden ist, erinnern zu können. Von meinem Beobachtungsfenster aus war das ein mehr oder minder ereignisloser Platz in typischer Sonntagvormittagsstimmung. So wie damals denke ich auch jetzt, daß das Sichtbare vor allem dazu dient, Digressionen in Gang zu bringen, was auch heißt, der Sprache des Augenblicks zu vertrauen, ohne ein Streben nach einem Gesamtbild außer Acht zu lassen. Anscheinend war der Hinweis darauf: „einatmen einatmen“. Da jedoch ohne Rufzeichen, ist das Imperativische ein wenig neutralisiert. Was denken Sie?

PS: Ich habe nach einem Foto gesucht und bin auf eine sehr authentische Beschreibung des Telefoniervorgangs in den 70er Jahren gestoßen:

„Eine solche Telefonzelle - ältere waren aus Holz und fahlgelb gestrichen, jüngere aus Metall und schwarz - betrat man nie ohne Telefonschilling. Den Telefonschilling warf man in einen bleiernen Schlitz und wählte. Hob jemand ab, drückte man einen weissen Knopf. Ein Zeiger setzte sich in Bewegung. Der Zeiger ratterte in einem gebogenen Fenster von links nach rechts wie die Tachonadel unseres gemächlich beschleundigeden Familienvolvos. Bei Tempo 140 war der Schilling zu Ende. Gespräch hatten immer etwas hastiges, von der Tachonadel getriebenes. Wer telefonkommunikatorisch auf sich hielt, hatte eine Nadel oder einen dünnen Stahlnagel bei sich. Kaum ein Telefon, das nicht mit einem illegalen, Loch im linken Eck des gläsernen Anzeigefensters versehen war. Zu Beginn des Gesprächs steckte man den Nagel durchs Löchlein und hielt damit den Zeiger auf. Telefonieren ging jetzt stunden-lang. Theoretisch. Praktisch stand schon nach zwei Minuten eine Warte-schlange vor dem Häuschen. Böses Schauen, Klopfen, Murren und schon war der nächste dran...“ (Mehr hier, samt Foto.)

frauminsk - 2012-05-16 09:49

diese typische „sonntagsvormittagsstimmung“, so wie sie sagen, kann ich gut nachempfinden. ich lese das gedicht sehr gerne, nach wie vor.
einatmen, einatmen
muss verdoppelt moderiert sein, ohne dazu aufzufordern. da haben sie vollkommen recht - es passt einfach genauso!

vielen lieben dank auch für den ausführlichen bericht übers telefonieren anno dazumal. ich mag den blick auf damals.
auch ungeheuer interessant, weil ich selber ja erst 1973 geboren wurde.
mein zahlknopf in rot ist technisch schon etwas vorgeschrittener u wurde von mir ab anfang der achziger erlebt bzw mitbenützt.

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