0001 - W. H. AUDEN

Ich schwebe zwischen Zahl und Gesicht.
Das Herz pumpt sein Blut ins Gedicht.
Und wenn es sich rötet, hab ich das All
schon auf den nächsten Dachbodenstufen.

Ich sehe die Menschen in ihren Berufen,
denn Sehn ist mein allerliebster Fall.
Ich höre sie nicht nach dem Dichter rufen,
aus ihres Lebens Überschalldrall.

Sie stecken im Fleisch wie ich in den Geistern.
Sie fliehn, was sie heimlich schützt.
Denn Flüchtlinge nehmen, was momentan nützt.
Sie lesen zu wenig in meinen Meistern.

(28.1.1967)
e.a.richter - 2011-02-17 20:04

In „Der Hammer“ Nr. 47 können Sie zu W. H. Auden meinen Text “Die Auden-Episode“
lesen.

Sturznest - 2011-02-17 20:06

Mein Lieblingsgedicht von Auden ist, das Gedicht zur "Erinnerung an Sir Butler Yeats", so muss man dichten, könnte ich dazu sagen und die Gestalt von Puschkin annehmen
albannikolaiherbst - 2011-02-18 06:59

"dazu sagen und die Gestalt von Puschkin annehmen".

Das ist, Sturznest, ein ganz wunderbar formuliertes Bild.
e.a.richter - 2011-02-18 15:51

Ich würde gern, Sturznest, eine Unzahl von Gestalten annehmen können, je nach Sinn und Form. Ein deklariertes Lieblingsgedicht von Auden habe ich derzeit nicht. Aber eines aus dem Jahr 1939 imponiert mir noch immer sehr.

The Unknown Citizen
(To JS/07/M/378 This Marble Monument Is Erected by the State)

He was found by the Bureau of Statistics to be
One against whom there was no official complaint,
And all the reports on his conduct agree
That, in the modern sense of an old-fashioned word, he was a saint,
For in everything he did he served the Greater Community.
Except for the War till the day he retired
He worked in a factory and never got fired,
But satisfied his employers, Fudge Motors Inc.
Yet he wasn't a scab or odd in his views,
For his Union reports that he paid his dues,
(Our report on his Union shows it was sound)
And our Social Psychology workers found
That he was popular with his mates and liked a drink.
The Press are convinced that he bought a paper every day
And that his reactions to advertisements were normal in every way.
Policies taken out in his name prove that he was fully insured,
And his Health-card shows he was once in hospital but left it cured.
Both Producers Research and High-Grade Living declare
He was fully sensible to the advantages of the Installment Plan
And had everything necessary to the Modern Man,
A phonograph, a radio, a car and a frigidaire.
Our researchers into Public Opinion are content
That he held the proper opinions for he time of year;
When there was peace, he was for peace; when there was war, he went.
He was married and added five children to the population,
Which our Eugenist says was the right number for a parent of his generation.
And our teachers report that he never interfered with their education.
Was he free? Was he happy? The question is absurd:
Had anything been wrong, we should certainly have heard.
elke66 - 2011-02-18 20:16

eine Dichterin, die in beeindruckender Art und Weise die Gestalt eines anderen angenommen hat, ist Gwendolyn MacEwen
albannikolaiherbst - 2011-02-19 07:59

@Elke66.

Danke für diesen Hinweis. Ich habe das Buch sofort bestellt, da Lawrence ohnedies in meinen engeren Denkkreis gehört. Wenn mein Instinkt richtig spürt, werde ich über MacEwens Gedichte dann auch schreiben.
ANH
e.a.richter - 2011-02-19 23:11

Ich habe drei Gedichte von G. M. gelesen. Aus "Wasser" hab ich mir einen schönen Satz herausgepickt, der mein von der katholischen Kirche in der Kindheit nicht nur mit Kruzifixen, sondern auch mit Weihwasser gequältes Herz sicher schlagartig beruhigt hätte:

"Wasser hat kein Gewissen und keine Scham, Wasser
gedeiht mit Wasser, es löscht den eigenen Durst."
Sturznest - 2011-02-19 23:14

Das wiederrum hätte bei meiner evangelischen Erziehung nichts genutzt, wir sind mit schrecklichen Hagebuttentee gefüttert, da hätten diese Zeilen, leider nichts genutzt
e.a.richter - 2011-02-19 23:39

Und wir wurden meist mit dem sogenannten Haustrunk *) getränkt, waren dann auch lustig drauf. Einerseits; andererseits liefen oft auch kopflose Hühner und herzjesuhaft blutende Schweine über den Hof. Am schlimmsten waren allerdings die Schreie der Opferlämmer zu Ostern.

*) durch Auspressen des Trester erzeugter Wein
Sturznest - 2011-02-19 23:43

Ich bin ja ein Stadtkind, von den kopflosen Hühnern habe ich immer nur gehört, aber ich stellte es mir immer vor und ich war fasziniert von der Vorstellung, dass man ohne Kopf auch laufen kann, wenn wahrscheinlich auch nicht weit.
e.a.richter - 2011-02-19 23:55

Es gab auch Überlebende wie Mike the Headless Chicken, nicht aber unter der Hacke der Großmutter.
Sturznest - 2011-02-20 00:03

Ja die Hacken der Großmüttter, das wäre mal ein Roman oder ein gEdicht wert, ich mochte meine GRoßmutter, obwohl sie bestimmt auch gut zuschlagen konnte, aber ich mochte sie aus zwei Gründen, zum einen tunkte sie ihr Brötchen in ihren Kaffee, was ich damals aussergewöhnlich fand und sie gab mir immer fünf Mark und das war auch nett, na ja die Hühner hatten eine andere Vorstellung von nett
e.a.richter - 2011-02-22 21:36

@ANH

Sehr freundlich, daß Sie mich als auf Ihrer Seite als gestaltannehmender Mitweber begrüßt haben, mit Ihren Linkpfeilen, schönen Dank!

Weber: sucht man im Web nach „Weber“, stößt man als erstes auf Weber.com: „Manufacturer of gas and charcoal grills, parts and accessories.“ Damit habe ich keine Erfahrung, mit mir als Griller bestünde höchste Explosionsgefahr.

Erst auf Seite 7 der Verweis auf wictionary, damit auf das Handwerk und folgendes Zitat: „Die wirtschaftliche Situation der verlegten Weber war zum Ende des 18. Jahrhunderts sehr schlecht..."

Weberei im engeren Sinn habe ich hier nicht angestrebt Das Wort wäre jedoch als Metapher für erwünschte Nebenwirkungen recht passend.

Die attestierte Einscheinungsstrenge ist Absicht. Es geht um Schwarz-Weiß (und ein bißchen Strukturierung mit orangeroter Farbe) und um nicht mehr. Es bedarf keiner anderen Zugabe, um das Archiv sich sozusagen von selbst aufrollen zu lassen. Oder sind Sie da anderer Meinung?

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