DB-87 (31) (Du sagst, ich soll die Schuhe ausziehen)

Du sagst, ich soll die Schuhe ausziehen. Gut, ich ziehe die Schuhe aus. Der Druck auf den Fersen verschwindet nun langsam.

Ich soll mich bequem hinsetzen, verlangst du. Ich probiere herum, lasse meinen Körper probieren, der dann eine Lage findet, die ihn weniger spannt. Ich bin nicht entspannt, aber auch nicht mehr durch und durch verkrampft.

Ich schwitze. Ich bin aus Angst vorm Zuspätkommen in Schweiß geraten. Schweißdrüsen, Herz, Lunge, Magen - die sind meiner Kontrolle entzogen. Wenn ich aber so vor dir sitze, möchte ich alle Funktionen meines Körpers kontrollieren.

Du sagst, es gibt nur mich und meinen Körper und das, was mein Körper jetzt fühlt. Es gibt nur diesen Schmerz, der sich langsam löst.

Du sagst, ich soll mich beharrlich auf meinen Körper reduzieren. Auch der Körper hat seine Geschichte, ist deine Geschichte, sagst du. Er repräsentiert deine Geschichte, aber er hat keine Schuld. Es gehe darum, sagst du, während sich meine Spannung zu lösen beginnt, während meine Zehen sich, ohne zu knacksen, bewegen lassen, meine Fersen mir wohltun, meine Wadenmuskeln keine beißenden Striemen mehr sind, während mein Herz nicht mehr sticht und der Magen ohne Beschwerde zu arbeiten beginnt, während Zunge, Zähne und Zäpfchen einfach da sind, um bei geschlossenen Augen eine Antwort zu formulieren, es gehe darum, einmal völlig von der Schuld abzusehen, das Verdrängte dort zu lassen, wo es ist. ja, sag ich (und meine, es ist die Wahrheit), in meinem Körper brodelt die Lösung aller vergangenen Schuld als augenblickliches Wohlbefinden.

(Die Berliner Entscheidung, Residenz Verlag, 1984)

Kap. 21: 52, 53, 54
Kap. 22: 55, 56, 57, 58, 59, 60
Kap. 23: 61, 62, 63
Kap. 24: 64, 65, 66, 67, 68, 69
Kap. 25: 70, 71
Kap. 26: 72
Kap. 27: 73, 74, 75, 76, 77
Kap. 28: 78, 79
Kap. 29: 80, 81, 82
Kap. 30: 83, 84, 85
Kap. 31: 86, 87

***

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„...Dies ist der Versuch eines komprimierten Familienromans, zugleich ein Reisebericht, der an einen Ort führt, wo die Kriegsschäden an den Menschen und deren Behausungen noch unverhüllt sichtbar sind. Lena und Stefan, von den gegensätzlichen Seiten der Geschichte kommend, unternehmen, sich zwischen Überlebenden und deren Nachkommen bewegend, einen Versöhnungsversuch...“ (Klappentext)

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