T-03 TATIANA

„7. Dezember. Mit T. im Restaurant. Oft daran gedacht. Jetzt ergibt es sich von selbst: fragt mich, ob ich Zeit hätte.

Porzellanfarbene Haut. Feuchte, zugleich ein wenig stumpfe, mir undurchschaubar erscheinende braune Augen.

Einmal, als sie sich vorbeugt, voller Bewunderung ihren Kopf von oben betrachtet. Wäschermädel, 19. Jh., Kaiser. Einmal im Fernsehen ein alter Film. Ihre Geschichte: die einer an der Spielsucht des Mannes kaputtgegangenen Ehe. Behauptet, er habe nur so lange an seiner Tochter Interesse gehabt, solange ihm der Umgang mit ihr verboten worden war. Spieler, der auch das Geld der Freunde im Casino verspielt.

Verstehe: Casanova. Sage, mit 20 könne ein junger Mann auch den Casanova spielen. Darüber sehr gelacht.

Erstaunt, dass sie solche Verständnisschwierigkeiten hat. Geblendet von T. von Anfang an. Also ihre Sprachkenntnisse überschätzt.“

„8. Dezember. Während der Fahrt über ihr Gewicht. Sie hat sich den ganzen Vormittag geweigert, etwas zu essen. Betont, dass sie seit der Geburt einen Bauch habe. Sehe sie immer nur Orangen essen. Hat jetzt 52, 53 kg und empfindet das bei einer Größe von 1,68 als zu viel; würde lieber wieder nur 46-48 kg wiegen.

Ich duze sie, während sie mich weiter siezt. Sollte sie eigentlich siezen.“

„9. Dezember. Nach dem Unterricht noch mit T. im Institut. Heute schlecht drauf. Ließ sich auch nichts von unserem Treffen anmerken. Brauner Pulli. Heftig türkisgrüne, schwere Ostblock-Jacke und ein ebensolcher Rucksack. Wunsch: kaufe ihr hiesige Kleidung.“

„10. Dezember. Wieder nur im Auto.

Sehr beeindruckt von den in kurzer Zeit hinter sich gebrachten Studien: Jus und Kindergartenpädagogik. Jetzt ist ihre Tochter bei ihren Eltern. Bewertung der ehemaligen Schwiegereltern: sehr böse die Ex-Schwiegermutter, gut und hilfreich der Ex-Schwiegervater. Ob ich glauben soll, dass ihr Ex-Mann nicht weiß, wo sie ist und was sie macht? Angeblich glaubt er, sie sei in Moskau. Würde er wissen, dass sie im Ausland ist, könnte er ihr Schwierigkeiten machen und den Großeltern das Enkelkind wegnehmen.“

(1. Jänner 2007)

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