Samstag, 17. Dezember 2011

EU-14 SAMSTAGNACHT (THE CUT)

bei Waterloo suchten wir The Cut,
fragten in Secondhandshops,
eilten weiter vorbei am Old Vic.
Schon um 16 Uhr

abgesperrte Straße mit Leinwänden,
Boxen unter Verschluß,
Securities vom Land, sonst nichts.
Fuhren zurück bis zum Oxford Circus.

Da stiegst du aus,
liefst hinter der 10 her.
Ich blieb sitzen, oben.
Pause für den Fahrer, Licht aus.

Ich mußte zur nächsten Haltestelle,
hatte mir 176 eingeprägt,
sagte 176, 176,
bei jedem Gesicht 1-7-6, 1-7-6.

Fuhr allein zurück,
dachte an dich, dein Zimmer,
mein leeres Zimmer daneben,
mein Fenster davor, die lautlosen Kräne.

Auf der Bühne Sängerinnen, kein Sänger:
rechts mit dem Hut in der Stirn,
aufgeschlagenem Mantel,
die Jackson-Doppelgängerin -

sang nicht, stand nur,
sog meinen Blick in sich hinein,
verschluckte sich nicht.
War gleich die Siegerin,

die mich schwanken ließ,
mir die Luft wegnahm
und alle Phantasien in einer glühenden Kugel
inmitten des Hirns zusammenpreßte.

Dann die Springprozession der Maskierten:
die Jungen auf Stelzen,
die Älteren im Trippelschritt, im Takt,
der sie aus Riesenlautsprechern

zu beiden Seiten vorantrieb:
immer ein Stück Straße,
gleich eine Weile ein Platz,
auf dem sie hin- und herzuckten.

Und immer diese wehe wühlende Melodie,
und dahinter das Gezirpe,
das verdächtig anschwoll
und schnell wieder fast erstarb.

Jonglierer ihre Keulen schleudernd –
Rollstuhlfahrer fingen sie auf
mit den Zähnen.
Tänzelten auf Rädern,

erhoben die Hände,
hinter Sonnenbrillen die Augen.
Mein Atem löste sich ab,
warf sich zu Boden,

schlich sich unter Schuhen weiter,
Hosenbeinen, Röcken,
bis ihn jeder einatmen konnte.
Als fremder kam er zurück:

atmete schwarzen Atem,
braunen, anderen weißen.
Ich regulierte die Musik
von den Balkonen herab,

saugte alles auf.
Ließ die Gospelsängerinnen aufleuchten
und wieder verschwinden.
Ungeniert ging ich hin und her,

ließ mich anstarren.
Niemand verletzte mich.
Niemand nahm mich mit.
Niemand verriet mir seinen Namen

(Sonntag, 15.07.2001, 8.50 Uhr, London)

(Erschienen in Eurotunnel, Literaturedition Niederösterreich, 2005)

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