F-13 DORFSTANDPUNKT
gleich neben dem Sägewerk
um einen unsichtbaren Anger herum
liegt schräg das Dorf
an einem mageren Bach: es reicht
bis zum Schloß mit den kupierten Türmen,
den Kastanienbäumen, den scheuen,
dreckigen Schafen im Graben,
bis zum Milchkasino, zur Bäckerei,
zur Dollfuß-Gedenkplatte,
bis zum Kirchturm, zum Wirtshaus
mit dem Telefon hinterm geblümten Vorhang,
es reicht bis zu den Bauern-Zimmern
hinter den spiegelnden Fenstern,
zu den Jahreszeit-Ritualen
in den Höfen, auf den umliegenden Feldern.
Heut ist das Dorf für uns nur
eine bewußt eingesetzte Ablenkung
von übermäßiger Innerlichkeit:
jeder arbeitet an seinen Beziehungen,
den frustrierenden Lieben,
den kläglich endenden Befreiungsversuchen;
den Gleichgültigkeitsanfällen,
den Überfällen beharrlicher Hoffnung;
den abgestandenen Dreiecksverhältnissen,
den Kämpfen um Kinder und Frauen.
Auf jeder Fliege sitzt ihr Herr,
Beelzebub, sag ich, und lacht sich eins.
Als es Nacht wird, strömt aus dem Friedhof warme Luft,
der Geist der unlängst begrabenen Neunzigjährigen,
die jahrelang nur von Schnaps und Brot gelebt hat.
Wir blicken in ihr Haus, sehen nichts,
laufen in panischer Angst zum Kornfeld, lassen uns
fallen, holen uns einen winzigen Trost
von den glimmenden Satelliten,
den Fußabdrücken der Astronauten am Mond.
(1981)
(Erschienen in: Friede den Männern, Residenz Verlag, 1982)