EU-17 MASKENGESICHT (BOUNDARY STREET)
offene Poren, Nasenhaare, todernst verkniffener
Mund, schwarzer Bartnachwuchs: Gesicht oder Maske?
Gleich erschien mir in einem anderen Raum
die grauhelle Spiegelfläche, samt Warnung davor,
mich selbst zu beschmutzen, die ich ignorierte,
vornübergebeugt in diesem Moment voller Gier,
mich auf der opaken Ölschicht ganz zu erkennen.
Sah nur etwas verschwommen Dunkles, Undefinierbares,
zugleich Spitznäsiges über der breiten Kinnlade.
Auch die Blechkante, unscharf zu beiden Seiten des Gangs,
die mich in Hüfthöhe umschloß. Weg ging ich
mit rinnender Spur rund um den Unterleib,
die nicht stank, durch nichts zu entfernen war.
Was mir narzißartig entschwebte, stellte sich
nebenan hin als viel kleinerer, vergreister Bub,
Zorn im Gesicht. Flugs dazu erfunden:
Normkörper, deren Engelhaftigkeit. Damit verband er sich
zu einer Dreieinigkeit, die den quadratischen Raum
gegen alle äußeren Anfechtungen abstützte.
Über all dem die Maske, drohend mit Flucht
durch eine der Dachluken, plötzlichem Absturz.
Ich löste den Zauber, zur Seite tretend: kein Volumen
mehr hinter dem Gesicht – Negativfläche,
in die ich die Finger bohren konnte, ohne
daß jemand mich strafend anfuhr oder gar biß.
Resümee: vorn Vortäuschung grimmigen Lebens,
von hinten bleiche Hohlform, selbst- und ichlos
(Samstag, 5.8.2000, 12.20 Uhr, London)
(Erschienen in Eurotunnel, Literaturedition Niederösterreich, 2005)