D-11 POST MORTEM
dachte ich: für immer
unter der Erde, sie,
von der ich so wenig
wußte, ihr plötzlich
erkalteter Leib.
Ich erschrak: sie hatte
ein Grab, ich keins.
Ich würde auch nicht
dafür sorgen wollen.
Ich wollte kein
ungeliebter Name sein,
mit dem ein zufällig
Vorbeikommender nichts
verband. Mein Name
sollte mit mir
verschwinden. Ich wollte
nicht in die Erde.
Nur kurz die Verlockung,
auf den Gebeinen
der Eltern zu ruhn.
Zum allerletzten Mal
auf den Erzeugern
wie ein Kind
aufsitzen, langsam
in sie hineinsickern,
zu einem Knochenwirrwarr,
ununterscheidbaren.
Ich wollte in die Luft
aus einem Rauchfang
entweichen. Ich wollte
als weißliche Asche
Dünger sein für ein paar Blumen
auf einem Fensterbrett
im vierten oder fünften Stock.
Ein bißchen Nahrung
für ein bißchen Zeit.
Ich wollte in ihren nächsten
Blüten aufleuchten:
letzter Wille,
letzte sichtbare Form,
prächtige Stille
(Samstag, 1.5.1999, 21.10 Uhr)
(Erschienen in: Das leere Kuvert, Bibliothek der Provinz, 2002)
Großes Gedicht, ich sage es noch einmal, ist es nicht sonderbar, wie leicht einem der Tod fällt wenn man so etwas liest, allerdings wenn mans schreibt ist es schrecklich, fürcht ich.
„Während des Verfassens mußte ich an A. denken, der vor Jahren 95jährig in Mexiko City gestorben ist. Vorher war er jedes Jahr hier, um die obligate Österreich-Reise zu machen. Er und seine Frau sind die einzigen jüdischen Flüchtlinge, von denen ich weiß, daß sie in ihr Herkunftsland regelmäßig zurückgekehrt sind. Von mehreren weiß ich, daß sie das vermieden haben (wie auch Joseph Brodsky nach seiner erzwungenen Ausreise nie wieder russischen Boden betreten hat). A.s Frau, inzwischen auch schon verstorben, hat danach an verschiedene Verwandte ein Kuvert mit seiner Asche geschickt. In meiner früheren Wohnung gibt es einen Balkon mit verschiedenen Topfpflanzen. Auf denen fand ich eines Tages feinen weißgrauen Staub vor.“