D-38 ZWEI TRÄUME

in dieser Nacht kamst du
in einen Raum hinter dem Atelier,
den du bisher noch nie betreten hast,
lockend mit Linoleum und Resopal -
schimmerndes Hausfrauengefängnis,
Turnhallenkästchen, Erholungskabinett
für Gestrauchelte über sich selbst.

Verrottende, ausgeleierte
Lebensversuche. Kahle,
untergetauchte Quadratschädel.
Nasen, gedankenlos aufgestülpt;
entgleiste Mienen.
Ich und du, alle unsere Ahnen
schnell und billig geklont.

Sonst merkst du nichts, nur Ekliges
über den Ecken, überall fiebrig
schäumendes, schmähendes Glänzen.
Du bleibst bei der Tür, sagst du,
auf wackligen Beinen.
Noch immer stehst du unter zittriger Wut.

Im Handumdrehn selbst an deiner Stelle,
in einem Parkettsaal im letzten Stock
einer monströsen Wohnhausanlage,
hinter dem Motorraum eines Lifts.
Der Boden bebt, Tinnitus
füllt diese Höhle, jäh, alles Licht
des Himmels über die Stadt.
Es zerbröselt die Mauern,
weitet die Nutzfläche aus.

Ich kann jetzt hinausgleiten,
wie auf Wasser gehen -
nichts geschieht mir.
Und muß nicht schreien, bin
nirgendwo gefangen,
auch nicht in dem Resopalparadies
deines schnell braun gewordenen Kopfes.

Etwas erschreckt mich zutiefst:
deinen allerletzten Traum
werde ich nie von dir hören können

(1999)

(Erschienen in: Das leere Kuvert, Bibliothek der Provinz, 2002)

***

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