EU-01 ICH BIN DER ESSER DER NICHT ISST
Ich bin der Esser, um zwei und drei und vier Uhr früh, der nicht ißt.
Ich bin der Esser, um fünf und sechs Uhr morgens, der nicht ißt.
Nie esse ich:
Ich esse nicht um sieben, nicht um acht –
schon um zwei und sechs aß ich Brote, Wurst und Käse,
hab alles in winzige Stückchen langsam zerkaut.
Jetzt esse ich mein Mittagsmenü,
Triumph bei jedem Bissen.
Nie esse ich:
Ich liebe die Leere im Magen,
die aufsteigende Säure,
die heisere Aufwachstimme.
Ein ganzer Tag voller Eßmomente liegt vor mir.
Nie esse ich.
Ich erinnere mich an kein Essen:
nie aß ich zu Hause am Eßtisch,
nie im Bett, auf der Straße, im Bus, im Park;
nie in einem Café, Gasthaus oder Restaurant.
Ich bin der Esser, der nicht ißt
der die andern nicht beim Essen sieht,
nie Essen sieht.
Ich bin der Esser, der im Magen lebt, im Darm,
in den Verdauungskreisen, die die ganze Welt umschließen,
in diesem brisanten Prozeß, nie unterbrochen
der mich nachts weckt aus jedem Traum.
Ich bin der Esser, der stets hungrig bleibt,
satt vom Blut,
bis zum Hals voll Luft
(Freitag, 13.07.2001, 8 Uhr, London, Österreichisches Kulturinstitut )
(Erschienen in Eurotunnel, Literaturedition Niederösterreich, 2005)
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