F-14 KAPITÄN GODOT

Im ersten Akt zunächst Cricket,
dann der Motorsport, das Boxen,
dann ein streunender Hund, die Schnauze
witternd am Boden, der den Traum
der Träume entdeckt:
Ich war nie ganz geboren.

Darauf im verdunkelten Zimmer
im Bett neben der Aufräumefrau,
die ihm sprachlos die Socken stopft,
neben dem erlaubten Bier
(eine Flasche pro Tag)
der Scheinkampf gegen die Fuchtel
der allgegenwärtigen Mutter:
sich von Krise zu Krise schweigend
vom eigenen Körpergeruch aufgestachelter Schöpfer;
verzweifelt kreiselnder Punkt
über einer tiefen Leere, zitternde
Kugel über seinen Stehauf-Frauen.

Schließlich: Wiederholung
der Vergangenheit, umgeben von Krüppeln,
Diabetes-Onkeln, immer wieder
auf der Flucht, ein schlechter
Hirt im Frankreich Vichys, ganz dürr
am Rücken einer Schneiderin,
die ihn bis zum Krepieren ernährt.

Am Schluß der Vorstellung
gerät er besoffen in eine Drehtür,
findet nicht raus, das Publikum
lacht sich halbtot: aber er
läßt sich auch jetzt
nicht zum Reden verleiten,
versucht mit spitzen Joyce-Schuhn,
in der Hand eine kindgroße
Hühneraugenpuderdose, flügel-
schlagend immer wieder
die Kulisse zu besteigen.

(1980)

(Erschienen in: Friede den Männern, Residenz Verlag, 1982)
e.a.richter - 2011-12-11 09:44

"Kapitän Godot"

„Wie in Ionescos fast zeitgleich entstandenem Durchbruchsstück „Die kahle Sängerin“ tritt in „Godot“ die Titelfigur nie auf. Um die Herkunft des Namens ranken sich unzählige Spekulationen und Legenden. Ob Gott oder Gangster, ein besonders langsamer Radrennfahrer oder der Patron einer Pariser Hurenstraße, Beckett hat alle Mutmaßungen verneint. Und die hübscheste Anekdote spielt ein paar Jahre nach der Uraufführung: Beckett habe im Flugzeug von Paris nach London gesessen, da habe über den Bordlautsprecher „Kapitän Godot“ die Passagiere willkommen geheißen. Worauf Beckett am liebsten aus dem Flieger gesprungen wäre, weil er sein Leben keinem Mann dieses Namens anvertrauen wollte.“
Mehr hier.

Sturznest - 2011-12-11 10:03

Die kahle Sängerin............
Sturznest - 2011-12-11 10:06

ich bin tropf
der kahle sänger
ich habe einen kalkweissen schatten
der hinter mir her ist
ich versuche ihn einzufangen
aber er ist schneller
er will mir die geldbörse stehlen
aber er traut sich nicht
weil er weiß
dass ich keine habe
aber einmal traut er sich doch
was tut er dann damit
er wird sich eine säge kaufen
er wird es mit der angst zu tun bekommen
ich könnte die polizei rufen
mit der polizei wetten
dass er mit der säge nicht tief genug kommt
was kann es schon für eine säge sein
eine wasserpfeife ist nichts dagegen

(auftritt des sängers, bald folgend im kommentarlosen sturznestkanal)
Weberin - 2011-12-11 10:09

vielen Dank, besonders für die Erläuterungen zum Hintergrund des Gedichtes.
Sturznest - 2011-12-11 10:12

Läuterungen
Läuterzungen
e.a.richter - 2011-12-11 14:35

"Cricket", "Diabetes"

„Beckett was the only Nobel laureate to have his athletic distinctions recorded in Wisden Cricketers' Almanack (he played a couple of first-class games while at Trinity College Dublin). He remained a cricket fan: friends would videotape English cricket matches and send them to him in Paris; I heard that he once took a big shine to an English cricket fan that he met in a bar, despite the fact (or perhaps because) the man had no idea who Beckett was.

An uncle of Sam's, Jim Beckett, is also listed. Like his nephew, he was a keen athlete; a swimming Olympian and member of the national water polo team and keen on athletics, hockey, rugby, tennis and boxing. He suffered from diabetes, which led to the amputation of his legs; the DIB suggests Sam's "obsession with infirmity and limbless bodies" may have been related to his uncle's experience.“

Mehr hier.

e.a.richter - 2011-12-11 19:20

"Ich war nie ganz geboren."

„In der Diskussion nach der dritten Vorlesung in der Tavistock Clinic sprach Jung am 2. Oktober 1935 über die unter Kindern ausgeprägte Fähigkeit, mythologische Inhalte in archetypischen Träumen wahrzunehmen... In diesem Zusammenhang kam der Fall eines zehnjährigen Mädchens zur Sprache, das in den Träumen seinen eigenen Tod imaginiert hatte, der kurz danach infolge einer Infektionskrankheit tatsächlich eingetreten war, so daß Jung resümierte: „Es war nie geboren worden“. Zu den Zuhörern in London zählte an diesem Tag Samuel Beckett, der von Wilfried B. Bion, einem Psychologen an der Tavistock Clinic, begleitet wurde, bei dem der Schriftsteller seit zwei Jahren in Behandlung war. Jungs Vorlesung übte einen außerordentlichen Einfluß auf Beckett aus, der in Gesprächen später immer wieder auf die Episode mit dem Mädchen, mit dem er sich identifizierte, zu sprechen kam und an zahlreichen Stellen seiner Werkes auf diese anspielt.“
(Paul Heinemann, Potenzierte Subjekte – Potenzierte Fiktionen, Ich-Figurationen und und ästhetische Konstruktion bei Jean Paul und Samuel Beckett, Königshausen & Neumann, Würzburg, S. 220)

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