Stummfilmzeit
zwei drei dinge die weiß
ich ich weiß
wie die fliege fliegt wie
sie abstürzt plötzlich ich weiß
wie man die suppe kocht wieviel salz
weiß rezepte biobaupläne kann
sie aufschreiben zeichnen was
aber macht
die suppe ohne
die fliege was
summen ohne ertrinken
(16.11.1968)
e.a.richter - 2011-03-13 13:00
im herabgleiten von fotografien
F der Stinkende Bettler die Nase
ein undeutliches flugobjekt brennesselbedeckt
die andeutung eines arms ein schauer
F hat nun seinen ort verlassen
der Stinkende klopft an die kirchentür knochig
die Nase: Kassner / Gogol (Oblomov?)
undeutlich: fleischfliegen fliegend
es kommt brennend herab durch den lichtschacht
es zerschellt an diesem luftwall
der arm umarmungsbereit armnest
oder zerfressen fast ameisenhügel F
ist hinübergegangen über die Donau grenze
ein schauer es war ein warmer
schauer schaudernd nahm er den spröden ballon
berührte die spröde haut des ballons
und dachte dabei an GELD
im herabgleiten der fotografien
auf der ersten stufe des abends betroffen
zerschnitten von ursprünglichen filmen
ihr knattern auflodern als ob die sonne
und jetzt jetzt in der stinkenden wolke
herzlos schwebend im gestank
verbrannter haut das heißt zeit
(16.9.1968)
e.a.richter - 2011-03-12 13:00
zwei narren im greisen
zimmer ein braver
bub & ein halb
narr laut
den rosenkranz betend
mitternachts
brüllend in versandete
schnecken verkalkte
adern verknorpelte
gewächse tausendmal
brüllend maria
maria rosmarin
streuende & platzende
kugeln die schreiwolken
platzen der Krummbauer
Karl er hört nicht auf
(und die mutter büßt
und der vater büßt
und die schwester büßt
alle büßen sie dürfen sterben
ohne zu beichten)
der Krummbauer Karl
nur bei kloster
schwestern & pfarrern
er hört nicht auf
ein fuß weg im wahn
daneben der brave
bub geschoppt in 3 wochen
12 kilo mehr in 3 wochen
12 kilo närrisches greisengewicht
(17.11.1968)
e.a.richter - 2011-03-09 13:00
1
die köpfe sind rot blau gelb grün schwarz
die köpfe streiten dann sind sie
oval es öffnen sich münder die münder
fast kopfgroße löcher & drinnen
sehr klein aber spitz
die zähne matt glänzend dazwischen
riesig gequollen fast
eine kugel die zunge die zunge
zum strecken sprechen oder
zum lecken reglose kugel
hinter speichelglas es sind köpfe
ohne zahl ohne namen
vom mittel alter gefärbt
nur die farben sprechen
2
wenn einer der köpfe aufgeht geht
der andere unter der unter
gehende geht
im himmelswasser auf so
sind die laute lautlos
überall
(14.11.1968)
e.a.richter - 2011-03-03 13:00
1
besser: rüde entblößung haut zähne in die insektenaugen des publikums gebleckt (frage)
besser: den tag hervorkehren den blätter und abfallhaufen zu füßen der bäume hegen und pflegen (frage)
besser: die kastanien kartoffeln auf dem feuer einfach vor sich hin braten lassen (frage)
besser: den schülern schülerhaftes den lehrerinnen und lehrern lehrerhaftes (antwort?)
besser: den köchinnen schmackhaftes den schustern und tischlern die ihnen angemessenen leisten (antwort?)
2
erziehung ist vor allem auch sache der lesebücher
angebot nachfrage das so gemusterte land erholungs/ermüdungsland wachland schlafland
das so gemusterte dürftige kleidungsstück übergeworfen mit der bitte um nachsicht
jedoch ohne nachzusehen ob es sich schickt ob es paßt verschönt
und dann bei passender gelegenheit vielleicht sogar wahrscheinlich einen weiteren brauchbaren zipfel erhaschen
vater staat in nöte bringen (pater noster hilf!) mit hilfe von mutter natur
informationen verlangen über meeresgrund mondoberfläche venusfliegenfalle
über zweckmäßiges benehmen in brenzligen situationen
wenn die traube reif die taube bereit die brüste steif in badeanzügen vor der hintertür
3
erziehung ist vor allem auch sache der lesebücher
ist da persönliche anrede gänzlich verboten
formal oder existentiell Sie bleibt Sie du bleibt du
in englisch sprechenden ländern fällt eine solche unterscheidung leider flach
an sich doch egal ob du schlägst oder Sie schlagen du fällst oder Sie fallen
hier folgen wir den hiesigen regeln von anstand und sitten
schlagen Sie bitte auf s. 135 bd. 1 lesebuch hiesiger höherer schulen
4
ein x-beliebiger satz bringt uns der maschine näher
die formlose form ist zerstört der leser gebunden
ein x-beliebiger satz verhindert erweitert erklärt verklärt verdirbt läßt funktionieren
ein gehirn hinter glatter stirn unter dicken zöpfen etwa
ein gehirn bald über und über gespickt mit winzigen nadeln pulsierenden stichen
auch die letzten weißen flecken werden von dieser landkarte schon morgen verschwunden sein
erfahrungen sind begrenzbar durch den schmerz (frage)
der in den lesebüchern enthaltene schmerz ist unbegrenzbar (antwort?)
5
sie erheben sich unaufgefordert
schnaufend erheben sich von selbst die jungen stiere
sie stellen sich auf und blähen die zungen
sie stellen die rauheit der zungen zur schau sich selbst aber nicht in frage
steht das in den lesebüchern (frage)
beim lesen erhebt man sich unaufgefordert (antwort?)
die stiere drücken die planken um
die stiere sind selbst der lesbare text das ratlose publikum selbst der rat
6
bedrängnisse hysterien hypochondrien hypertrophien
die trophäen längeren lebens wahren lebens in jedem raum
ich schärfe mein bewußtsein an fiktiven hörnern
ich lasse mich von fiktiven hörnern widerstandslos durchbohren
tot ist nur der ort der sich mit ihnen beschäftigt
alles andere lebt in der badewanne weiter
das gehäuse dampft das innere ist ungestraft rein
(oktober 1968)
e.a.richter - 2011-03-02 13:00
die andere seite des körpers
ist ein endlos dunkles höhlengewirr
ist ein kalksteingebirg unbestiegen
die andere seite hält sich für alle
befremdungen bereit ist kühl & mädchenhaft
matrosengesichtig & ohne harm
die andere seite nähert sich nicht
geht nicht weg sie sticht streitet
um existenz & ist doch nicht angreifbar
(13.8.1968)
e.a.richter - 2011-02-28 13:00
wenn die nasenstimme in
die ohrenstimme umklappt
wenn pfeifen eindringt &
seufzer ausbrechen wenn die rote
kavalkade mit ihren hufen auftrommelt
wenn sich die empfindlichen häute
zum platzen anspannen
wenn die wimpern geräuschlos vibrieren &
blicke unmöglich machen
wie umwandeln den lärm
feindlicher energie in sprühende wärme
wie dich umarmen
(11.8.1968)
e.a.richter - 2011-02-27 13:00
in kölnischwasser getauchte federn verwelken
in schweiß & harn getauchte federn verbrennen
die schrift von blumen & bäumen ist ohne gewähr
jäger & hunde vergessen nie auf biß & schuß
wenn grazie vorbeifliegt wenn schnelle kraft entsteht
ihr lebenszeichen der bruch in der todeswunde
trauer versteckt sich in brotkörben strohtristen
die essenden unter der sonne bleiben gefühllos
fremd & hart klingt die arbeit den dächern & himmeln
glockentürme drängen ihr gewicht den kirchenschiffen auf
worte der kanzeln prallen an den stirnen kraftlos ab
landschaften werden versinken als einzige winzige hoffnung
nacktes tun nackter leiber in schwierigem nackten licht
(11.8.1968)
e.a.richter - 2011-02-26 13:00
den fleischern geben wir recht
wenn sie sich des blutschurzes entledigen
die ammen warten mit schlagfertigen brüsten
der hintergrund liegt schon gefällt
die bäume sind bücher jäh verketzert
und untergegangen im autodafé
brüderlich offen das ei & ohne
löffel eßbar unbehaart
die blutleeren hände die paviane
zeigen achtlos die regenbogenfarbenen
auswüchse der zoo rebelliert nicht
gegen die täglichen fleischhaufen
notwendig ist gegen sehnsüchtige barbarei
unschuldiger aderlaß jähe zerstückung
die mücken leben von winzigen bissen
ihr leben auf die balzsäule zu
unter jeder hochzeit stockt blut
(11.8.1968)
e.a.richter - 2011-02-24 13:00
als Spiegel am Abend das aufgeknüpfte Taschentuch
an den Außenseiten der Hände praller als sonst
die Adern die Züge erscheinen erstarrt
die Rufe ganz aus der Nähe der in Zeitlupe fallenden Knaben
aus zerplatzten Fensterscheiben
blickt manches Auge tot
und die sich in Pfützen erblickenden Knaben
in blaßblauen Himmelsscherben
mit flatternden Hosenbeinen
ganz plötzlich erstarrt im Frostwind
die blicken herab und herauf aus ihrer Qual
auf die Qual des zerfetzten Himmels
(12.6.1968)
e.a.richter - 2011-02-23 13:00