Samstag, 19. März 2011

0036 - ENTKLEIDUNG

während du dich entkleidest sprichst du ernsthaft über die sprache
während du sprichst ziehst du dir den pullover über den kopf das aufgeknüpfte hemd
von den brust schlüpfst aus dem leibchen läßt die hose fallen
während du sprichst steigst du aus den schuhen darunter
während du schließlich nackt bist sprichst du noch immer ernsthaft über die sprache
während unter der tuchent die blicke sprachlos auf dich warten
während die akte des staunens sprachlos unter den lidern
während die bewegungen sprachlos unterm bett auf dem plafond warten & warten

es geht nur dich an
das alles hier ist ein akt der zuspitzung
die unveränderte lage auf der einen seite geht über in die veränderte lage
auf der andern
die übergänge sind unmerklich & voller übermut

während du mit einem großen schritt hinaufsteigst ertönt ein krachen unter dir
während die luftschlaufen zusammenbrechen fällt das glas aus dem fensterrahmen &
hereinkommt ein sprachloser blitz
du siehst: wir sehen einander zum ersten mal
zum ersten mal geht etwas aus den fugen das nicht zu sehen ist
die stücke bilden ein ganzes während das ganze in stücke geht
zum ersten mal stolpere ich über mein eigenes schweigen
während ich schweige stößt in mein bewußtsein ein völlig nackter körper vor
während er anscheinend fröstelt leide ich anscheinend darunter

gespalten wie nur ein mensch sein kann schwebe ich noch immer im schritt
vielleicht hab ich das krachen verwechselt wie ich das licht verwechselt hab
während ich jetzt auf dich blicke ohne ein wort zu sagen geschieht dein näherrücken
sicherlich in einem anderen raum
während der raum wechselt verschwindet die zeit

es geht dich etwas an nur dich
deine bewegungen sind von sehr großer langsamkeit
ich liege neben dir doch in einer anderen zeit
glassplitter bewegen sich in meinen wunden auf & ab
ich schreie & mein schrei ergießt sich
während seines ergießens steigt in dir zufriedenheit auf du freust dich
über die kühnheit meines schritts

jetzt hab ich die kleider vergessen
jetzt hab ich die sprache vergessen
jetzt hab ich alle zusammenhänge vergessen während dein völlig nackter körper
im schrei erscheint unartikuliert

ich gebe dir irgendwelche zeichen aber anscheinend sind die wände für dich
ganz undurchlässig
ich wär am liebsten ein reißender blutschwall während du immer mehr
in deiner brust versinkst
schließlich hört das krachen auf während der blitz zu reden beginnt

jetzt glaub ich nicht mehr an die notwendigkeit einer erklärung
ich glaub auch nicht mehr an einen anblick der mich beschämt
während schamröte mein gesicht überzieht falle ich aus meinem warten
aus meiner rolle
ich spreche die hose an plötzlich gehört sie mir
die wand ist glatt der tisch ist rund die tür unweigerlich zu
plötzlich gehört alles nur mir allein & bedeckt mich wie eh & je:
ich spreche wieder

(fr.11.4.1969)

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