Mittwoch, 8. Februar 2012

D-19 PARIS ODER SO

Paris, plötzlich so fern wie nah, als ob ich wüßte, wovor
ich entweiche, nicht aber, wonach ich suche: immer wieder
die Versuchung zur Flucht zu Menschen in fremden Ländern,

in ihre vielleicht genausowenig gesunde Moral, ihre Sitten,
sie kommt und geht; und besser und schlechter ist gleich; gleich
auch das Hier- und das Dortsein: auf einmal La Grande Arche

auf dem Bildschirm, vor mir auf dem Blatt, schimmernd,
Ansporn zum Aufbruch, der dann nicht stattfindet, auch nicht
für eindringlich Fragende: wie es denn gewesen sei am Rive Gauche,

auf dem Eiffelturm, im Hotel Saint Simon bei überschwappendem
Atlantikwetter, an französischen Tischen, all die Tests in Geduld und Neugier:
stets ein Gewinn, einen unzweifelhaft schlechten Zustand

gegen einen nur zweifelhaften einzutauschen, wie Montaigne meint,
baumhaft aus seinem Grab irgendwo draußen heraufwachsend;
im Duett mit dem Mann von La Mancha, hauchdünne Stimme

aus dem Radio, Mensch gegen Figur, die sich erhebt aus dem Staub
und gegen die Reflexe des Fensters, der Lampe, dieses Zimmers ankämpft,
in dem alle meine künftigen Entscheidungen schon bereitstehn

(Samstag, 26.12.1998)

(Erschienen in: Das leere Kuvert, Bibliothek der Provinz, 2002)

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