Sonntag, 12. Februar 2012

D-21 PLACE DU SORBONNE

keine Krisenverbreitung,
keine Longlife-Parolen
zur Erheiterung irgendwelcher
Individuen, auf Stills fixiert.

Fasziniert bis in die Zehen -
könnte hier sitzen bleiben
und Blicke, Wendungen von Köpfen,
Körperausbuchtungen, Kleiderfalten,

Reflexe auf Kaffeehausfenstern
mit einem Knopfdruck für immer
festhalten wollen, meine kleine Ewigkeit.
Alle atmen unsichtbar.

Arme, Brüste, Beine erhaben,
versunken in dünnflüssiger Luft.
Hände alt, verkrustet.
Gesichter gefroren in dem Moment

des Erkennens, ihrer Sekundenmaske.
Speichelreste in den Mundecken.
Schminke an Stellen, wo sie nicht hingehört.
Haare wie aus Stein,

herausgewachsen aus dem Untergrund,
angestäubt vom Himmel, vom Asphalt her.
Grundwasser könnte sie speisen,
Erdwärme beleben, ihr Druck sie

aufblähen zu Ausstellungsstücken
der Evolution. Laufend
schwenkt das Auge
zwischen rechts und links hin und her,

findet menschenartige Zufallstreffer
vor Restspiegelungen von Häusern und Bäumen:
zieh dieses Leporello hinter mir her -
bis ich bei Pimkies lande

inmitten eines Ansturms
von Stoffen und Häuten: auf einmal
völlig wunschlos, federleicht,
versöhnt mit der Dingwelt

(Freitag,16.4.1999, Paris)

(Erschienen in: Das leere Kuvert, Bibliothek der Provinz, 2002)

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