Eine mutwillige Brise
empört die lächelnde Fläche:
Lichtstreifen, schnell ermüdend,
marschieren über den Sandhang.
Unken echoen. Kinder schrein
aus rot- und gelbgeschwollenen Rümpfen.
Entblößt, die Mutter suhlen sich gleichgültig
in ihrer braunen glitzernden Schönheit.
Schwarz, bald ist mein Kopf
vollgesoffen
mit glührotem Metall;
stürzt jäh ab
in die grüne schwebende Masse,
die weiß und begehrlich aufspritzt:
Zischend schießt nun ein Boot
hin zu den Kindern als letzte Rettung.
(Juni 1967)
e.a.richter - 2011-02-12 13:00
1
Hinter der zugefallenen Tür
mag ein zugefrorener Teich sein,
darauf etwas Spitzes, tanzend.
Die Wirtin kehrt bald zurück,
in den Augen grüne Scherben,
im Mund den Aufprall von Flaschen.
Das Geld, das sie reicht, trieft
von verborgenen, tiefen Schnitten.
Ihre blaue Brust ist höher geworden.
Die Rehböcke ihrer Träume
erscheinen plötzlich, fragend;
den Arbeitern glaubt sie nichts.
2
Das aufgehäufte Fleisch,
das ihr hier seht,
wird niemals meins sein!
Dieses kleine Mädchen
ein fahles Stück Mutterhaut
mit roten, wässrigen Augen:
zu schwer für mein Leben.
Ich schüttle die Flaschen,
bin mit dem Schillern und Platzen
von Blasen zufrieden, mit dem,
was mir entgleitend zerschellt.
Die Splitter mögen euch zeigen,
wie Blut mich treibt und beweibt.
Das Mädchen trollt sich,
verschwindet im Fett einer Mutter.
Ich bleibe schlank, gläsern!
Ich hüpfe über Nacht und Au,
steige und schwebe und platze.
(Juni 1967)
e.a.richter - 2011-02-11 13:00
(für Franz Haderer)
1 Die Au
Eine riesige Lunge, schwer atmend, ist hier die Au.
Eine Fabrik, unsichtbar, kauert im Osten,
bläst Zementstaub, allerfeinst, in die Luft:
er ist grau, weißgrau, und grau ist jeder Tag dieser Au.
Sie keucht, hüstelt unmerklich; ihre Brennesselstauden,
Erlen, Weiden, ihr Rohrgras, mannshoch, stehn bebend da,
würgend, unwiderstehlich der Brechreiz.
Das Knacken der dürren Äste unter den Schuhn
ist ein Husten, trocken, heimtückisch. Das ständige Rieseln
ein Alptraum verfestigten Lichts: das Licht
bleibt liegen, grau, lautlos, gefährlich lauernd.
In der Nacht wird die Lunge versteinert sein, weiß.
2 Die Schlange
Zu heiß für bloße Sohlen die Steine:
das Wasser schießt glücklich prustend
durch die zwölf Löcher des Wehrs.
Blickschnell, ein Strahl lappt sich empor,
dunkles S mit silbernem Schnörkel:
die Natter hat den Fisch zappelnd im Maul.
Ihr Schlängeln in Bernstein geschnitten,
es dauert; der silberne Blitz dauert.
Die Horizonte saugten ein Vakuum hier.
Kein Ort, keine Zeit: nur ich, im Schlangenbiss, lautlos.
(Juni 1967)
e.a.richter - 2011-02-10 13:00
1
er müßte jetzt hier sein, dachte ich,
mit unablässigen Sätzen im Kopf,
ohne mich zu erkennen. Müßte
mit mir hinunter zur schönen Seite
und hinter mir stehenbleiben, mich
beobachtend mit unhörbarem Lachen
bei meinen vergeblichen Versuchen,
in den Fenstern viel mehr zu sehen
als mein ruckelndes Spiegelbild
und erlöschende Landschaftsfragmente
dahinter, als wär das sein eigener,
immer wieder abgerissener Film
2
er hätte mein Schatten sein können,
unter dieser Nachmittagssonne.
Noch hörte ich seine Fernseh-Stimme
im Ohr, wollte ihn aber nicht verärgern
durch eine unzulässige Imitation.
So blieb alles meine Sache, die meines Eigensinns,
bis die Außenmauern zur Seite wichen:
nur ein Tischchen stand da,
mit schmaler Schreibmaschine drauf,
einem eingespannten leeren Blatt.
Er hatte es bewußt so zurückgelassen,
zur Warnung voreiliger Fort- oder gar Über-
schreiber. Niemand wird sich hier je
an seiner Stelle hinsetzen können,
niemand in fließende, feinstoffliche Sprache
verwandeln seinen Lungenblick
(03.11.2000)(Fr) (4.45 Uhr)
Aus gegebenem Anlass das obige Gedicht außerhalb der Chronologie eingefügt!
(Erschienen in:
Obachter, Edition Korrespondenzen, 2007)
e.a.richter - 2011-02-09 21:13
(für Helena Krausova)
Der Regen ist Rabbi Löws Bart.
Einst, im Verlorenen Land, wurde mir wohl,
wenn er mich streifte. Seine Bauchrednerstimme
war ein viel größeres Wunder
als je ein Regenbogen. Rabbi, ich schlief
in deinem Bart, schmutziges Mädchen,
und träumte mich rein. Rabbi, du riefst mich
manchmal zu dir, und ich legte mein Ohr
an jene Wunde, rot und geheim,
mitten im Bart: da wurde mir wohl
im Trost deines Singsangs, Wiegen des Hauptes
in der eindeutigen Schrift deines Herzens.
Wie leicht – Rabbi, du lächelst -, wie schnell
hinter deinen Schultern die Welt verschwand:
die Mutter eine weggeworfene Puppe
der Vater kleiner als dieser Nagelmond.
Jetzt, diese Grabsteine sind kein Dach.
Ich gehe nackt im Regen, die Judenseelen
rissen mir alle Kleider vom Leib.
Ich gehe nackt über das Steinmeer.
(März 1967)
e.a.richter - 2011-02-08 13:00
Unter Blättern, feucht, geduckt,
hocken sie, wollüstigen Buckels,
glotzäugig, mit bärtiger, triefender Lippe,
hocken, horchen und haben Spaß
an Unfällen, Mißernten, Fehlgeburten.
Unter den Blättern glattgrün,
in Gläsern schlierig, auf Messern fett:
sie hocken und haben Spaß
an Verneinung, wispern von Gas
und läuten die Glocken zur Unzeit.
Lähmend fällt ihr Singsang
Gehenden in den Rücken,
Nackte erblinden vor Scham,
Schläfer zerdrückt der Daumen des Vaters.
Schnurrend, sie hocken dabei, fächeln
mit Zeitungen, Honigtöpfe die Herzen,
von Hohn und Verzweiflung umsessen,
aus Mündern Bälle aus rüdem Gestank.
(Jänner 1967)
e.a.richter - 2011-02-07 13:00
Puls, heiß, Blasen, violett, aufplatzend
unter Augen, überreizt, grün flimmernd.
Geräuschlos spazieren Kinder,
Parapluis aus Papyrus, Putten
aus Gummi, lächerlich weich,
auf einer Milchstraße, plötzlich errötend.
Da unten die Erde, konvulsivisch
Zuckende, Schaum aus den Mündern.
Gelächter, aus Röhren, gepreßt.
Flaggen, Signale, wehende Hände.
Verwandlung: Franzosen, glänzend,
mit Schraubenmuttern im Cakewalk.
Ölgeruch, Grüße des Proletariats:
WIR erzeugt Unsterblichkeit,
WIR springt über Streiks, Stoppzeichen, Kondome.
Parolen, mit Echos, millionenfach,
jagen Melancholie in die Luft.
Eine Staubwolke setzt sich, Hügel, Berge,
aus Kinderpuder, versöhnlich, im Abend-
sonnenschein, schon im Schlaf.
(Jänner 1967)
e.a.richter - 2011-02-06 13:00
Mit roten Mängeln behaftet,
abbreviaturenhaft, grausam fast,
Gesichtsteile, tanzend,
Erinnerungsbad.
Nichts Schaumgekröntes, nur
Anatomiebuchseiten, verlebendigt,
die sich vergeblich
in den Seitenstraßen,
im Kornfeld verstecken wollen.
Plötzliche Einfälle,
Maschinengewehrgarben
haben das Dunkel gelichtet.
(Jänner 1967)
e.a.richter - 2011-02-05 13:00
Er wartete nicht, bis mein Tanz zu End war.
Er hob meine Maske ab und erschrak.
Ich sah meine Sommersprossen auf seine Augen
sich legen; darin kreisen, bis ihr Licht erlosch.
Mein Tanz ist zu End, weil alles um mich herum brennt;
weil Haare scharf rascheln, Füße wehn, die Dinge,
an die ich dauernd stoß, bis ins Herz kalt sind.
Ich seh keine Sonne, nur Schnee.
Trauert, Eltern, schön war die Zeit hier mit euch,
mein letzter Sommer, mein Vogel, mein Leben, mein Lied –
ich schluckte es mit den Pillen, und alles Eckige war
blitzschnell rund, alles Kalte warm und ganz nah.
(28.1.1967)
(siehe KURIER, 27.1.1967, S. 7)
e.a.richter - 2011-02-04 13:00
In meinem meerroten Bart
fängt sich der Wind,
daß es knistert und knirscht,
als stieße der Kiel auf ein Riff.
Ein schwarzer Hahn kräht
im Meeresschaum.
Die Geister entzünden sich leicht
in solchen Stunden,
ein Napf steht bereit
fürs Tropfwachs der Kerzen.
Wenn ihr glaubt, der Wind
ist ein Feind des Feuers,
dann seht meinen Bart!
Daß Flammen züngeln,
macht ihn nur froh.
Und mein Gesicht
leuchtet im Widerschein.
(Jänner 1967)
e.a.richter - 2011-02-03 13:00
1
Es gibt einen Wind, der hat sein Schnurren verlernt.
Er weht durch Städte wie London. Er zieht aus Gewinn
und Verlust die Summe und klagt: Wie kann ich mein Leben leben,
da ich schon tot bin? Die Parks, die grünen, die Zeitungsleser,
Autobusse, Polizisten und Jungfraun, alles bedeckt die Wüste.
Was raschelnd den Weg anzeigt, ist meine Kraft.
Oder ist es die Brennspur eines anderen sterbenden Lebens?
2
The Thames ist ein Fluss, Überfluss, und doch immer
leer, um Mitternacht, an der Tower Bridge.
Ich sah in den Wellen Männer. Ich folgte dem Ruf,
stieg hinab: kein Tor, keine Stufen, nur Gleiten!
Gleitend trafen wir uns: über dem Grund,
über der Zeit. Doch mein Durst blieb ungestillt,
denn ich sprach mit wachsamen Toten.
(28.1.1967)
e.a.richter - 2011-02-02 13:00
Ich schwebe zwischen Zahl und Gesicht.
Das Herz pumpt sein Blut ins Gedicht.
Und wenn es sich rötet, hab ich das All
schon auf den nächsten Dachbodenstufen.
Ich sehe die Menschen in ihren Berufen,
denn Sehn ist mein allerliebster Fall.
Ich höre sie nicht nach dem Dichter rufen,
aus ihres Lebens Überschalldrall.
Sie stecken im Fleisch wie ich in den Geistern.
Sie fliehn, was sie heimlich schützt.
Denn Flüchtlinge nehmen, was momentan nützt.
Sie lesen zu wenig in meinen Meistern.
(28.1.1967)
e.a.richter - 2011-02-01 13:00