Dienstag, 23. April 2013

FL-08 Fliege (Notizen)

Schmecken, riechen

Eine Fliege auf meinem Frühstückstisch schmeckt dasselbe wie ich. Derzeit esse ich nur Müsli. Oft lasse ich die Schale eine Weile stehen, damit sich das Müsli verdickt. Dann muß ich noch Milch nachgießen. Denn ich habe es gern, wenn das Müsli flüssig ist.

Die Geschmacksrezeptoren von Fruchtfliegen können wie die meinen zwischen süß und bitter unterscheiden. Ich kann nur mit der Zunge schmecken. Die Rezeptoren der Fliegen verteilen sich in Form von Borsten über den ganzen Körper. Auch Beine, Flügel, Rüssel und Eiablegeapparat können schmecken. Doch die Geschmacksneuronen der Fliege erkennen lediglich, wo sich die Nahrung befindet und ob sie gut oder schlecht ist. Erstaunlich, daß Fliegen und Menschen nach so vielen Millionen Jahren Evolution noch immer das gleiche Logikmuster für die Geschmackserkennung einsetzen.

Eine Fliege riecht viel besser als sie schmeckt. Ihre 50 verschiedenen Geruchsrezeptoren nehmen Tausende verschiedene Gerüche wahr. Ich hingegen - als Allergiker - muß mich auf wenige beschränken. Die Fliege ist mir demnach sowohl beim Schmecken als auch Riechen weit überlegen.

(7. Dezember 2006, 12:38)

***

Vielleicht auch ein Blick hierher.

Sonntag, 21. April 2013

FL-07 Fliege (Notizen)

Amathophobie 3

Als Kind lebte ich mit dem Staub auf vertrautem Fuß. Als der Hof noch nicht betoniert war, mußte er öfter gekehrt werden als danach, zumindest jeden Samstag. Schon als Volksschüler war das Hofkehren meine Aufgabe. Der Großvater hatte dazu im Winter die Rutenbesen hergestellt, einen Vorrat für das ganze nächste Jahr, der auf dem Dachboden gelagert wurde.

Staub lag auch dort überall, besonders Heustaub. Nicht nur mit Heu verbinde ich Staub, auch mit Getreide. Es gab eine Dreschmaschine in einem eigenen Schuppen. Die wurde in den Stadel gezogen, wenn die Ernte eingebracht war.

Dreschen hieß für mich nicht nur Staub, sondern auch Blut. Die Garben wurden vom Vater von unten auf den Tisch geworfen, ich mußte sie möglichst schnell aufbinden und dem Großvater hinschieben, der die nun losen Halme mit beiden Händen zusammenfaßte und in den Schlitz einführte, bis sie die Trommel mitriß.

Nach dem Dreschen ging ich mit zerstochenen Füßen, Beinen und Armen, auf die denen sich eine Staubkruste gebildet hatte, in die Waschküche, wo bereits ein Waschtrog mit erhitztem Wasser stand. Hier kamen dann die blutigen Male zutage, und erst jetzt bemerkte ich, wie sehr sie brannten..

Staub lagerte sich auch auf den Fensterscheiben ab, die Dorfstraße war nicht gepflastert. Auch sie wurden jede Woche geputzt, denn nur spiegelblanke Fenster verwiesen auf eine gut geführte Wirtschaft und saubere, geordnete Familienverhältnisse.

(4. Dezember 2006, 12:33)

***

Vielleicht auch ein Blick hierher.

Donnerstag, 18. April 2013

FL-06 Fliege (Notizen)

Amatophobie 2

Staub ist immer überall da, Asche setzt einen Verbrennungsvorgang voraus. Vorher muß Feuer entstanden oder gelegt worden sein. Zu Asche wird jedwede verbrannte brennbare Materie. Ich denke jetzt aber weniger an zu Asche gewordene Dinge als an zu Asche gewordene Menschen.

Mit menschlicher Asche kam ich direkt in Kontakt, nachdem ein in Mexiko lebender Großonkel gestorben war. Die Witwe schickte einen Teil seiner Asche in einem Kuvert, was ich erst erfuhr, als ich einmal auf den Balkon trat und mir auf der Erde in einem großen Blumentopf eine helle staubige Fläche auffiel. Es war die Asche des Onkels, die hier verstreut worden war, um die Pflanzen zu düngen.

Daraufhin beobachtete ich die Pflanzen genau. Und immer, wenn mein Blick auf sie fiel, mußte ich an den Muffelofen denken, in dem die Kremierung stattgefunden hatte. Wie ich das abwehren mußte, Muffelofen mit Großonkel zu verbinden, sodaß ich dessen Umriß vor mir an der Mauer wahrnahm, sein fast durchsichtiges gebräuntes Gesicht und seine schlohweiße Haarmähne! Und Gasbrenner! Ein Gasbrenner verdampft alle Körperflüssigkeiten und verascht die nach dem Verblasen der Holzasche verbliebenen Organe, Gewebeteile und Knochenreste zu Menschenasche.

Schließlich noch Aschekapsel. Wie die Witwe die Asche des Großonkels der Aschekapsel entnommen, auf verschiedene Kuverts verteilt und dann an die Verwandten verschickt haben muß.

(3. Dezember 2006, 11:11)

***

Vielleicht auch ein Blick hierher.

Samstag, 13. April 2013

Nachtbilder - Poesie und Musik

Samstag | 13.4.2013 | 23:10 Uhr, Oe1

"Schreibzimmer".
Von E. A. Richter.


Es liest Michael Dangl.
Gestaltung: Nikolaus Scholz.
Redaktion: Julia Zarbach.

Nachzuhören bis 20.4.2013
unter:

http://oe1.orf.at/konsole?show=ondemand

--------------------------------------------------------------

Programm:


Aus "Schreibzimmer", Edition Korrespondenzen, 2012
http://www.korrespondenzen.at/Richter03.html:

Das schwarze Kleid
Paar im Bus
Hortus conclusus
Boi de Boulogne
Donnergeschmetter
Material
100 Metronome
Con vibrato
Bagatellen
Der See
Was Rosen

-----------------------------------------------------------

Musik

Komponist/Komponistin: Wolfgang Mitterer/geb.1958
Titel: Grand Jeu für mechanische Orgel solo : cheoma 2
Solist/Solistin: Wolfgang Mitterer /Orgel
Länge: 01:39 min.

Komponist/Komponistin: Olga Neuwirth/geb.1968
Titel: Sans soleil - Zerrspiegel für zwei Ondes Martenot, Orchester und Live-Elektronik
Orchester: ORF Radio-Symphonieorchester Wien
Länge: 15:20 min

Komponist/Komponistin: Wolfgang Mitterer/1958
Gesamttitel: Turmbau zu Babel / Stimmensymphonie für 16 Großchöre, 16 Sprecher, 22 Schlagwerker, 16 Hörner, 16 Posaunen, 8 Tuben, 8 Trompeten, 16 Dirigenten und Tonband / Live-Mitschnitt (Gesamtzeit: 51.45) (00:51:45)
Titel: 4.Erzählung * Instrumentalteil III Stimmensinfonie
Ausführende: Instrumentalisten des Brucknerkonservatoriums Linz
Leitung: Wolfgang Mitterer
Länge: 02:35 min

Komponist/Komponistin: György Ligeti/1923 - 2006
Album: György Ligeti Edition - Mechanical Music (vol.5)
Titel: Poeme Symphonique für 100 Metronome
Solist/Solistin: Francoise Terrioux /Metronome
Länge: 02:30 min

Komponist/Komponistin: Wolfgang Rihm/geb.1952
Urheber/Urheberin: Wolfgang RIHM/13.3.1952 Karlsruhe
Album: Streichquartette von Wolfgang Rihm
* Schroff - 1.Satz (00:02:10) Streichquartett
Titel: Im Innersten - Quartett für Streicher Nr.3 in sechs Sätzen / gewidmet Alfred Schlee zum Geburstag
Ausführende: Arditti String Quartet
Länge: 02:10 min

Komponist/Komponistin: Wolfgang Rihm/geb.1952
Urheber/Urheberin: Wolfgang RIHM/13.3.1952 Karlsruhe
Album: Streichquartette von Wolfgang Rihm
* 2.Satz (00:03:54) Streichquartett
Titel: Im Innersten - Quartett für Streicher Nr.3 in sechs Sätzen / gewidmet Alfred Schlee zum Geburstag
Ausführende: Arditti String Quartet
Länge: 03:54 min

Komponist/Komponistin: Jörg Widmann
Album: JÖRG WIDMANN: ELEGIE
* 10. Contrapunctus IV - Exodus (00:05:41)
Titel: MESSE für großes Orchester
ET RESURREXIT
Leitung: Christoph Poppen
Orchester: Deutsche Radio Philharmonie
Länge: 05:18 min

Komponist/Komponistin: Olga Neuwirth/geb.1968
Titel: Five daily miniatures für Countertenor und kleines Ensemble < Ausschnitt >
Solist/Solistin: Andrew Watts /Countertenor
Ausführende: Klangforum Wien
Leitung: Konstantia Gourzi
Länge: 04:20 min

Donnerstag, 11. April 2013

FL-05 Fliege (Notizen)

Amathophobie 1

Angst vor Staub ist für mich eine seltsame Angst, ich kenne sie nicht. Ich denke sofort an einen verlassenen Raum oder ein verlassenes Haus, in dem sich schon lange kein Mensch mehr aufgehalten hat.

Wie oft habe ich solche Räume betreten! Schon als Kind empfand ich sie romantisch, gruselig, verwunschen, beglückend. Staubgeruch! Immer wieder hatte die Zeit ausgesetzt, und diese ausgesetzte Zeit hatte sich in Form von Staub materialisiert. Wie schön, daß die Zeit so materiell ist und sich ihrem Vergehen nicht entziehen kann!

Ich war von Anfang an umgeben von den verschiedensten Stäuben an den verschiedenen Orten im Haus und der Natur. Sehr erfreute mich das staubige Mehl, die staubige Kleie, der Staub im Stadel und auf dem Heuboden. Der Erdstaub auf den Feldern und im Weingarten. Der Staub, den schon der kleinste Wind im Hof aufwirbeln konnte. Der Staub, den die Herbststürme von weit her mit sich brachten.

Jetzt sehe ich alle verlassenen Räume, die ich jemals betreten hatte, wieder mit Staub bedeckt. Die Spuren meiner Nachgänger, die vielleicht eine Weile sichtbar geblieben waren, sind schon lange verschwunden und immer wieder durch neue ersetzt worden. Die Vorstellung der ständigen Bewegung all dieser Stäube macht mich heiter und ruhig.

(2. Dezember 2006, 10:27)

***

Vielleicht auch ein Blick hierher.

Dienstag, 9. April 2013

FL-04 Fliege (Notizen)

Staub 2

Selten wische ich den Staub weg, der sich auf dem Bildschirm angesammelt hat. Wenn er eingeschaltet ist und leuchtet, fällt es nicht schwer, den Staub und Schmutz darauf zu übersehen.

Jetzt kann ich aus üblichen Entfernung viele winzige Flecken sehen, obwohl die Seite schon halb beschrieben ist. Aus der Nähe betrachtet, denke ich einen Moment lang an ein grobkörniges Foto. Allerdings sind hier die Punkte verschieden in Größe und Farbe und unregelmäßig verteilt.

Staub gedeiht vor meinen Augen - ein Partikeluniversum: Hautzellen, Haare, Stoff- und Teppichfasern, Gummi- und Lederpartikel, Farbpigmente, Gesteinskörnchen, Pflanzenteilchen, Milben, Bakterien, Pilzsporen, Spuren von Haarspray, auch Pollen und Abgase von draußen. Im Staub gedeiht alles, Staub ist fruchtbar.

(1. Dezember 2006, 10:59)

Zu „Fliege. Roman eines Augenblicks“ (Edition Korrespondenzen, 2010). Mehr hier, hier und hier.

***

Vielleicht auch ein Blick hierher.

Sonntag, 7. April 2013

kolik.autoren.lounge

Dienstag, 9. April 2013 / 20.00 Uhr Nachbarhaus

Schauspielhaus, Porzellangasse 19, 1090 Wien

Es lesen: Ekaterina Heider (Exil-Literaturpreis 2012), Doron Rabinovici (Andernorts, Roman, Suhrkamp Verlag) und E. A. Richter (Schreibzimmer, Gedichte, Edition Korrespondenzen).

www.kolik.at
www.schauspielhaus.at

***

Vielleicht auch ein Blick hierher.

Samstag, 6. April 2013

FL-03 Fliege (Notizen)

Staub 1

Ich blende Staub aus. Ich will nicht wissen, wo überall Staub liegt. Ich weiß es, will aber damit nichts zu tun haben.

Staublunge. Es staubt. Es stäubt. Schnee stäubt. Im Sonnenlichtstrahl, der durch ein Astloch in einer Holzwand fällt: Staub! Auf den Fensterscheiben innen und außen: Staub. Nichts, was nicht von Staub umhüllt ist.

Staubfarben. Alles nimmt mit der Zeit die Farbe des Staubes an.

Besen, Staubsauger. Der Besen hat einen roten Stiel. Man kann ihn abschrauben. Es gibt mehrere rote Besenstiele, im Haus verteilt. Es gibt auch zwei Staubsauger. Einer steht im Keller, gleich neben dem Laufband. Kein Ahnung, warum er dort abgestellt wurde. Den im Stiegenaufgang benützt nur Jasmina. Sie kommt jede zweite Woche.

(29. November 2006, 12:22)

***

Vielleicht auch ein Blick hierher.

Donnerstag, 4. April 2013

FL-02 Fliege (Notizen)

Eine Fliege als Initiatorin

Wäre nicht diese winzige Fiege am späten Abend des 14. August hier auf dem Bildschirm vor mir gelandet, sondern auf meinem Knie oder der Wand hinter dem Bildschirm, hätte es keinen so unmittelbaren Schreibimpuls gegeben.

Sie hatte nur kurz Platz genommen, angetrieben von ihrer Suche nach Nahrung. Ich beschrieb ganz automatisch, was ich da plötzlich wahrnahm, bis die Fliege wieder wegflog.

Innerhalb des Word-Rahmens war der Monitor vorher weiß gewesen, wie leeres Blatt Papier. Doch ich sitze nicht gern vor einem weißen Monitor. Das ist, als würde ich in Unentschiedenheit erstarren müssen; oder in Selbstreflexion.

Für die erwünschte Animation war es die falsche Position: nicht am Schreibsessel, nicht vor dem Monitor sollte sie passieren; wenn möglich gar nicht zu Hause. Mich selbst in unerfüllter Bereitschaft will ich nur dann ertappen, wenn ich Schmerz und Verzweiflung ablenken kann.

Die Wand hinter dem Monitor ist weiß und höher als drei Meter. Um zur Decke hinaufzusehen, muß ich mich im Sessel weit zurücklehnen. Der ist sowohl nach hinten als auch nach rechts und links hin beweglich. Jede Bewegung beim Sitzen wird von der Lehne begleitet.

Bevor die Fliege den Monitor verließ, glaubte ich zu sehen, wie sie sich am Staub, der sich sowohl am Rahmen als auch am Schirm angesammelt hatte, gütlich tat. Ich dachte: Staub, Staub! Ja, Staub konnte sie gehörig erquicken!

(28. November 2006, 19:30)

Zu „Fliege. Roman eines Augenblicks“ (Edition Korrespondenzen, 2010). Mehr hier, hier und hier.

***

Vielleicht auch ein Blick hierher.

Mittwoch, 3. April 2013

FL-01 Fliege (Notizen)



Vielleicht auch ein Blick hierher.

Mittwoch, 27. März 2013

D-39 IM BUNKER

im Schlafbunker gibts keine Sonne, kein
Essen, keinen Krieg, nur mit der Zeit die eigene Zeit.

Das dauert. Du liegst einfach da,
Ballast im Gefüge der Körperwelten,

Erkundung deines innern Gesichts, mußt es tun.
Das stellt sich aus, erscheint in den Träumen,

die andere hinter der Wand sofort protokollieren.
Du bist ihr Objekt, Dokument deines Selbst.

Sie sind deine Handlanger. Du öffnest dich ihnen,
sie betreten dich ohne Scham und Respekt, reuelos.

Du nimmst sie gefangen. Sie schreien,
ohne zu wissen, daß sie das tun.

Sie können sich nicht hören.
Du spiegelst sie nicht, ertappst sie in ihrer Not.

Hast du sie absichtlich in diese Falle gelockt?
Jetzt siehst du dich selbst, einen eigentümlich straffen,

rot glühenden Nerven- und Muskelmenschen -
schwebst über allem, Haut überm Arm

(2000)

(Erschienen in: Das leere Kuvert, Bibliothek der Provinz, 2002)

***

Vielleicht auch ein Blick hierher.

Montag, 25. März 2013

D-38 ZWEI TRÄUME

in dieser Nacht kamst du
in einen Raum hinter dem Atelier,
den du bisher noch nie betreten hast,
lockend mit Linoleum und Resopal -
schimmerndes Hausfrauengefängnis,
Turnhallenkästchen, Erholungskabinett
für Gestrauchelte über sich selbst.

Verrottende, ausgeleierte
Lebensversuche. Kahle,
untergetauchte Quadratschädel.
Nasen, gedankenlos aufgestülpt;
entgleiste Mienen.
Ich und du, alle unsere Ahnen
schnell und billig geklont.

Sonst merkst du nichts, nur Ekliges
über den Ecken, überall fiebrig
schäumendes, schmähendes Glänzen.
Du bleibst bei der Tür, sagst du,
auf wackligen Beinen.
Noch immer stehst du unter zittriger Wut.

Im Handumdrehn selbst an deiner Stelle,
in einem Parkettsaal im letzten Stock
einer monströsen Wohnhausanlage,
hinter dem Motorraum eines Lifts.
Der Boden bebt, Tinnitus
füllt diese Höhle, jäh, alles Licht
des Himmels über die Stadt.
Es zerbröselt die Mauern,
weitet die Nutzfläche aus.

Ich kann jetzt hinausgleiten,
wie auf Wasser gehen -
nichts geschieht mir.
Und muß nicht schreien, bin
nirgendwo gefangen,
auch nicht in dem Resopalparadies
deines schnell braun gewordenen Kopfes.

Etwas erschreckt mich zutiefst:
deinen allerletzten Traum
werde ich nie von dir hören können

(1999)

(Erschienen in: Das leere Kuvert, Bibliothek der Provinz, 2002)

***

Vielleicht auch ein Blick hierher.

Samstag, 23. März 2013

D-37 THERAPIE

Becken, Boden, Erde, sagte sie,
Vererdung, Atmung. Atmete in sich vertieft,
alles andere ausklammernd. Schimmerte

von innen: Augen im Ariel-Glanz,
blanke porenlose Gesichtshaut.
Kosmos allüberall, Sonnen, Monde,

Rote und Braune Riesen,
materielose Materie, das Neueste, Älteste,
das den geplagten Menschen erheitern kann.

Antworte mit Einzellern, dem,
was ich von ihnen sehen konnte,
wunderbare Art von Sex: Seite an Seite

gingen sie für kurze Zeit ineinander auf;
keine inneren Grenzen, nur eine gemeinsame
äußere Hülle. Vermessenheit, die lockte:

mich in gleicher Weise an sie zu schmiegen, auf daß
Kleidung, Haut mit einem Mal verflogen, wir derart
aneinanderlagen, daß alles Individuelle -

Organe, Zellen, Membrane, Genome -
sich urplötzlich löste, austauschte, regellos.
Dann saßen wir genauso da wie vorher,

äußerst befremdet von solchen Reden,
mit gekreuzten Beinen, sie mit ihrem Block,
auf den sie mehr als sonst schrieb

(2000)

***

Vielleicht auch ein Blick hierher.

Donnerstag, 21. März 2013

D-36 MAN LEBT JA

man lebt ja auch im fernen Australien, auch
Kalifornien, nimmt überall das Rad mit, Reserve-
schläuche, nimmt Schlafen auf dem Boden

in Kauf, Geldarmut von Nachkommen, Kind-
gebundenheit hinaus über ein erträgliches
Maß. Man lebt ja auch in täglicher Anschauung

von Angst und Verlust. Gleichzeitig voller
Mut in den Zubringerluftstraßen,
die auf gegensätzliche Kontinente zielen.

Nie gedacht vorher, daß Liebe so schmerzt,
Liebeswunden so schwären, Fleisch, wuchernd,
das Leben vergällt. Man lebt in diesem Anderen,

Perth oder San Diego, in diesem verselbständigt
weitergepflegten Leben. Ich und du und er
und sie. Man kurbelt selbst, in irgendeiner

dunklen Kammer, der eigenen, nach dem
verquälten Erwachen den Traum von der Familien-
zerrissenheit zurück an den Anfang: wo Samen,

Eizellen noch in den Eltern ruhten, man adler-,
hundehaft an der Zukunft teilnahm,
mit Zwergenschritten Erdteile verband

(2000)

(Erschienen in: Das leere Kuvert, Bibliothek der Provinz, 2002)

***

Vielleicht auch ein Blick hierher.

User Status

Du bist nicht angemeldet.

Free Text (1)

Dieses Weblog wird hier archiviert.

Archiv (ab 1967)

Lyrikbände:

Der zarte Leib

Friede den Männern

Das leere Kuvert

Eurotunnel

Obachter

Schreibzimmer

Romane:

Die Berliner Entscheidung

Originalverpackt oder mit Widmung über e.a.richter(ett)gmx(punktt)at erhältlich.

„...Dies ist der Versuch eines komprimierten Familienromans, zugleich ein Reisebericht, der an einen Ort führt, wo die Kriegsschäden an den Menschen und deren Behausungen noch unverhüllt sichtbar sind. Lena und Stefan, von den gegensätzlichen Seiten der Geschichte kommend, unternehmen, sich zwischen Überlebenden und deren Nachkommen bewegend, einen Versöhnungsversuch...“ (Klappentext)

Fliege. Roman eines Augenblicks

Aktuelle Beiträge

0126-1b A KIND OF DEPARTURE
the lady of the house speech-impaired since an incomprehensible...
e.a.richter - 2015-12-30 07:09
0126-1a AUCH EIN ABGANG
die gnädige frau sprachgestört wohnt sie seit einem...
e.a.richter - 2015-12-26 03:43
0107a - THE TEACHERS
the teachers leave the school the prettiest teacher...
e.a.richter - 2015-12-23 21:27
DT-001 FETISCH
(YVONNE) ihre weiße Bluse steif, ein Fetisch, der...
e.a.richter - 2015-12-21 12:12
DZL-18 DAS BETT
das Bett, das alles verraten wollte und nichts verriet:...
e.a.richter - 2015-10-07 04:22
DZL-17 PUPPI
was zu sehen ist, in einzelne Stücke zerlegen; alle...
e.a.richter - 2015-06-02 08:44
DZL-01 WIR GLAUBTEN AN...
wir glaubten an das Blut. Dieses Wir ist mit Vorsicht...
e.a.richter - 2015-05-07 13:59
DZL-02 MEIN PATTEX
mein Zauberer hieß nicht Pattex, nicht Expatt. Er lebte...
e.a.richter - 2015-05-07 13:58
DZL-03 DER ZARTE LEIB
Zartleibigkeit wird vermißt, auch intensive Zartlebigkeit....
e.a.richter - 2015-05-07 13:56
DZL-04 - ZU MEINER ZEIT
zu meiner Zeit war gar keine Zeit. Die Zeit hatte sich...
e.a.richter - 2015-05-07 13:55
DZL-06 IN DIE HÖHE SINKEN
schwierig zu lesen: Er begriff seine Geschichte. Blatt...
e.a.richter - 2015-05-07 13:53
DZL-07 TISCHLERPLATTE
mein Vater, Tischler, hatte keine Tischlerplatte, er...
e.a.richter - 2015-05-07 13:52
DZL-08 GOLD, GLANZ, HEITERKEIT
sie sagt, ich bin älter als mein Vater, als er zu...
e.a.richter - 2015-05-07 13:51
DZL-09 WIR GLAUBTEN AN...
wir glaubten an das Blut. Dieses Wir ist mit Vorsicht...
e.a.richter - 2015-05-07 13:51
DZL-10 BRAUTMASCHINE
ein Mann braucht nur eine Wand und eine Braut. Er braucht...
e.a.richter - 2015-05-07 13:50
DZL-11 SCHWIMMERIN
wenn sich das Tor geöffnet hat, fährt allen in ihren...
e.a.richter - 2015-05-07 13:50
DZL-12 FRESSEN UND WUCHERN
Gedichte zu fressen ist nicht meine Sache. Ich lese...
e.a.richter - 2015-05-07 13:49
DZL-13 KONTROLLE VERLIEREN
Kontrolle verlieren, im Nebenraum, wo alles aufgetürmt...
e.a.richter - 2015-05-07 13:49
DZL-14 MUNDSCHUTZ FÜR...
es begann mit strahlenden Augen, auf einer Schnitzerei...
e.a.richter - 2015-05-07 13:48
DZL-15 JUNGE FRAUEN...
dem kleinen Mann macht die Situation einen Gefallen: zwei...
e.a.richter - 2015-05-07 13:48

Free Text (2)

Free Text (3)

Archiv

April 2025
Mo
Di
Mi
Do
Fr
Sa
So
 
 1 
 2 
 3 
 4 
 5 
 6 
 7 
 8 
 9 
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
21
22
23
24
25
26
27
28
29
30
 
 
 
 
 
 
 

Suche

 

Status

Online seit 5207 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 2016-01-06 11:08

Credits


A Roma etc.
Das leere Kuvert
Der zarte Leib
Detonation und Idylle
Die Berliner Entscheidung
Erste Instanz
Eurotunnel
Fliege (Notizen)
Friede den Männern
Jetzt
Licht, Schatten
Namen
Obachter
Pessimismus & Erfahrung
Schreibzimmer
Stummfilmzeit
... weitere
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren