F-01 BECKETTS KIESEL

Ich hab keine Kiesel
in den Taschen wie Beckett, wenn ihn
die Lust zum Lutschen überfällt.
Doch hätt ich welche, hätt ich keine
Bedenken, sie wahllos zu lutschen:
mir ginge es nicht um Zahl, Bezeichnung,
Zirkulation; auch nicht um eine Methode
der größeren Gerechtigkeit:
Kiesel sind rund, glatt, bald körperwarm,
geben ein angenehmes Geräusch von sich,
wenn sie einander berühren; Kiesel
sind keine Individuen, weinen nicht,
machen keine Revolution,
sind zweckmäßig und austauschbar.
Es gibt elegante und handfeste
Lösungen: Beckett hat sie alle
ausprobiert. Er hat einen Text geschrieben
über angenommene Kiesel
in angenommenen Taschen
mit einer angenommenen Gerechtigkeit;
ich aber will etwas Reales,
das sich auch zum Lutschen eignet:
einen Strohhalm, einen Hemdzipfel,
einen Daumen, eine Warze;
oder eben einen wirklichen Kiesel,
als Begleiter, Ballast, Geschoß:
den kann ich auch lutschen
oder schlucken oder herschenken,
mir immer der Folgen bewußt,
oder einfach vergessen.

(15.7.1981)

(Erschienen in: Friede den Männern, Residenz Verlag, 1982)
Sturznest - 2011-03-01 17:36

Beckett hatte Whiskey in der Jackentasche ....

e.a.richter - 2011-03-01 17:41

Angeblich hilft Writers Tears! (Aber nicht mir.)
Sturznest - 2011-03-01 17:46

Mir auch nicht, früher (immer dieses früher, man sollte dieses früher mal hinausschicken, soll es sich doch ein anderes zuhause suchen) wäre es bei mir der gute selbstgebrannte Slivovitz gewesen, heute ist es Sauerkrautsaft.
Bei Kieseln fäöllt mir übrigens eher Knut Hamsuns "Hunger" ein, der Romanheld knabbert doch an Kieselsteinem glaube ich, aber eckettsfiguren natürlich auch, alle knabbern sie, sie knabbern und knabbern, nur um die Welt bei Laune zu halten
e.a.richter - 2011-03-01 21:57

Den suckings-stones-Abschnitt aus „Molloy“, auf den sich dieses Gedicht bezieht, finden Sie hier.
Sturznest - 2011-03-02 04:50

Ich kenn dass doch, ich kenn das doch alles so gut, aber nicht zu gut um es nicht immerzu wieder zu lesen. Aber in Englisch, da treffen sie mit ihre Link in mein stachliges und von Englischkenntnissen praktisch leeres Herz.
Darauf muss ich erstmal an einem Kieselstein lutschen.
Iris2002 - 2011-03-09 23:44

Becket die zweite

Beckett-Bemerkung: ein (offensichtlich 'nachhaltiges') Zitat: Malone - muss seine Männlichkeit falten, um noch halbwegs durch(ein)zudringen... hat mich schon damals (1981?) zum Kichern gebracht.
Sucking Stones - passage - rather annoying... (Zitat Lit.prof. 1982: Na, vielleicht ist das ja beabsichtigt, dass Sie von dem Text unangenehm berührt werden!)
Also berührt werden ist ok, aber unangenehm berührt -und dann noch absichtlich??

e.a.richter - 2011-03-10 01:26

Gern würde ich wissen, liebe Iris, was eine Leserin wie Sie weitertreiben könnte, wenn sie von der Lektüre trotz Kicherdrang "unangenehm berührt" wird.

Noch immer faszinierend, nicht nur wegen des "drives" darin, finde ich die Passage, die so beginnt:

"I took advantage of being at the seaside to lay in a store of sucking-stones. They were pebbles but I call them stones. Yes, on this occasion I laid in a considerable store. I distributed them equally between my four pockets, and sucked them turn and turn about. This raised a problem which I first solved in the following way. I had say sixteen stones, four in each of my four pockets these being the two pockets of my trousers and the two pockets of my greatcoat. Taking a stone from the right pocket of my greatcoat, and putting it in my mouth, I replaced it in the right pocket of my greatcoat by a stone from the right pocket of my trousers, which I replaced by a stone from the left pocket of my trousers, which I replaced by a stone from the left pocket of my greatcoat, which I replaced by the stone which was in my mouth, as soon as I had finished sucking it. Thus there were still four stones in each of my four pockets, but not quite the same stones. And when the desire to suck took hold of me again, I drew again on the right pocket of my greatcoat, certain of not taking the same stone as the last time. And while I sucked it I rearranged the other stones in the way I have just described. And so on. But this solution did not satisfy me fully. For it did not escape me that, by an extraordinary hazard, the four stones circulating thus might always be the same four. In which case, far from sucking the sixteen stones turn and turn about, I was really only sucking four, always the same, turn and turn about. But I shuffled them well in my pockets, before I began to suck, and again, while I sucked, before transferring them, in the hope of obtaining a more general circulation of the stones from pocket to pocket. But this was only a makeshift that could not long content a man like me. So I began to look for something else ...
e.a.richter - 2011-03-10 04:42

Hier die filmisch umgesetzte Passage für Sie, Iris. "I made this video, schreibt PHILIFOR, "mainly because I've been drawn to this passage for years and had a vivid sense of the stone sequence. Zach and I have worked together for years, and a number of times specifically using Beckett text (Endgame and Watt), but usually with Zach performing. This time around, We both thought that I had a better feel for the role. Our sea is the East River in Brooklyn, NY--down by the Manhattan and Brooklyn bridges.

Iris2002 - 2011-03-10 15:27

Kiesel-Gedanken

Also hier sofort und spontan und unreflektiert (eh klar...) die Videobetrachtungs-Gedanken: Brooklyn-Bridge kenn ich - hoffentlich verschluckt er keinen Kiesel - das Gefühl des in den Kieseln am Strand Wühlens ist mir vertraut (Antalya letzten Sommer - nie mehr Kiesstrand!) - Blinklichter: witzig! - Augenrollen: jetzt hat er doch einen verschluckt!! Und wieviel Zeit hat jemand eigentlich, der solche Sachen macht?? Banal, gell?? N

Iris2002 - 2011-03-10 15:31

Weitergetrieben...

zum Fertiglesen eines Textes, auch wenn er 'unangenehm berührt', werde ich von dem Perfektionsdrang, auch von der Möglichkeit, dass sich ja noch was Anderes ergeben könnte - etwas weniger Unangenehmes vielleicht? Aber vor allem: Was man anfängt, macht man fertig.... ;)

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