FL-19 Fliege (Notizen)

Akkordeon, Pianino

Ich hatte keinen Musikunterricht ab der 5. Klasse, sondern nur Bildnerische Erziehung. Allerdings lernte ich beim angesehenen Hrn. Resch etwa ab dem 10. Lebensjahr Akkordeon. Damit spielte ich bei öffentlichen Veranstaltungen, etwa bei Weinlesefesten und beim Silvesterprogramm, Walzer, Polkas, Märsche und Zwischenmusiken.

So lernte ich die Mitglieder des Gesangvereins kennen, vor allem die weiblichen, da war ich 14. Dessen Leiter besaß eine Getränkeerzeugung und befaßte sich auch mit dem Weinhandel. Daher näherte ich mich über ihn recht schnell dem Weingenuß in seiner üblichen Form an. Den sogenannten Haustrunk, gepreßt aus den über Nacht in Wasser getränkten Trestern, kannte ich schon seit Beginn der Volksschulzeit. Er war das Getränk, das mittags und zur Jause bei der Feld- und Weingartenarbeit getrunken wurde.

In der Oberstufe verlagerten sich meine außerschulischen Aktivitäten immer mehr vom Dorf in die Kleinstadt, in dem sich das Gymnasium befand. Da es oft Nachmittagsunterricht gab und die Eltern leicht anzuschwindeln waren, kam ich fast jeden Tag erst am Abend nach Hause und erreichte damit, daß sich meine Tätigkeiten am Hof deutlich reduzierten. Ich mußte nur mehr beim Tierefüttern helfen und die Milch ins Kasino bringen.

Bis zur Matura nahm ich an den meisten dörflichen Festen und Theateraufführungen als Akkordeonspieler teil, nicht unbedingt aus Leidenschaft. Es war aber eine Möglichkeit, meine Scheu vor größeren Menschenansammlungen zu überwinden und mit den Dorfbewohnern in Kontakt zu bleiben.

Lage Zeit stand hier in meiner Unterkunft ein Pianino, das nur ein einziges Mal von einem Onkel gestimmt worden war. Manchmal blieb es längere Zeit unberührt. Dann wieder setzte ich mich aus einer Laune heraus hin und begann, vor mich hin zu phantasieren. Mehr war nicht möglich, da ich ja nie gelernt hatte, beidhändig zu spielen. Mit der zweiten Hand konnte ich nur einen Rhythmus vorgeben und ihn variieren. Mehr als Oktaven anzuschlagen, gelang mir nicht. Dieses Spiel war aber doch ein unmittelbarer Ausdruck von Stimmungen und musikalischen Ideen, im engen Rahmen meiner technischen Möglichkeiten.

Manchmal hörte ich reine Töne. Es war, als würde eine Membran plötzlich durchlässig werden und sich mein Hörvermögen erweitern.

Ich wollte mich von diesem Pianino nicht so einfach trennen. Bevor dieser Tag herankam, weil ich in eine kleinere Wohnung umzog, setzte ich mich regelmäßig hin und nahm die kurzen Stücke auf, die mir jeweils einfielen. Zu einigen sang ich – ich, der sonst nie sang – und zwar in einer aus der Not des Nichtsängers geborenen Technik: ich gab sowohl beim Aus- als auch beim Einatmen Töne von mir. Es klang so, als hätte ich mir das von dem stets Luft holenden Akkordeon abgelauscht.

Beim Recherchieren zu Brendel stieß ich auf eine Seite für Klavierunterricht. Es ging um die richtige Übersetzung des Wortes „soft pedal“ und. In den „Fundamentals of Piano Practice“ wird das etwas genauer erläutert: „Das linke Pedal wird meistens Dämpfer- bzw. Dämpfungspedal oder Sordino genannt und das rechte Pedal als Haltepedal oder Verlängerungspedal bezeichnet. Neuerdings gibt es aber auch Quellen, in denen die Namen der Pedale an die englischen Ausdrücke angeglichen sind. Darin wird nun das rechte Pedal als Dämpfer- bzw. Dämpfungspedal (damper pedal) bezeichnet und das linke u.a. als Pianopedal (soft pedal). Es ist mir bisher nicht gelungen, den Ursprung dieser neuen Bezeichnungen ausfindig zu machen. Solange ich nicht weiß, ob es sich hierbei wirklich um eine neue Wortbildung in der deutschen Sprache handelt oder die Änderung nur durch eine weitergetragene Falschübersetzung der Ausdrücke "damper pedal" und "soft pedal" entstanden ist, werde ich die bisherigen Begriffe im Text beibehalten.“

Ich stellte mir die Frage, was der Einsatz des linken oder rechten Pedals bei einem Projekt wie diesem bewirken könnte. Ich denke, ich benütze – wie in der Realität auch – recht oft und ohne darüber nachzudenken beide: das linke, um, meinem Temperament entsprechend, das Aufkochen von Beziehungsgeschichten zu vermeiden; und das rechte, um die Dauer eines Ereignisses, auch dessen Erinnerung, zu manipulieren.

(19. Dezember 2006, 10:41)

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