Samstag, 1. Dezember 2012

DB-035 (15) (Beate kichert)

Beate kichert die ganze Zeit in sich hinein, schaut mit ihren brennendbraunen Augen schräg zu Götz auf, der sich in ihrem Blick sonnt, ohne sich ihr zuzuwenden. Die Männer seien überhaupt sein Problem. Sie meine vor allem ihren Vater, erklärt Götz.

Beate nickt und fixiert mich dabei fragend. Ich werde aber von der Antwort durch ein Klingeln an der Tür befreit. Beate zuckt zusammen und wartet auf die Reaktion von Götz. Der bestreitet, jemanden eingeladen zu haben, und erkundigt sich rasch nach Anrufern während ihrer Abwesenheit. Gestern haben ihn zwei Frauen und ein Mann sprechen wollen. Das seien wahrscheinlich Berufskollegen gewesen, die jedoch als unangemeldete Gäste nicht in Frage kämen.

Wer drängt sich schon am 30. Dezember in eine gerade erst heimgekehrte Familie? Seine Miene verrät, daß er einen Verdacht hat. Er weist zur Tür und verlangt, daß Beate öffnet. Dann erhebt er sich schnell und begrüßt die mit gedämpfter Heiterkeit eintretenden Schwiegereltern deutlich distanziert.

Oskar erfaßt die Situation und will daher nur kurz bleiben. Trotzdem entschuldigt sich Götz schnell mit Hausarbeit und verschwindet im Badezimmer. Der Haushalt sei eben sein ein und alles, sagt Oskar mit süffisantem Lächeln und küßt mich auf die Wange.

Wenn du jetzt ein benennbares Gefühl erwartet hast, muß ich dich enttäuschen. Es entsteht wieder keine Verbindungslinie zur Vergangenheit. Nichts, was an etwas Damaliges anzuknüpfen wäre, was jetzt noch von Bedeutung ist. Aber die Gegenwart ist angenehm. Eine leichte Beschwingtheit, ein Säuseln. Zugleich denke ich, daß es vielleicht nur ein Ausweichen ist. Denn wenn es eine Wahrheit zwischen meinem Onkel und mir gibt, dann kann sie nicht nur Geschichte sein.

Oskars eigenartige Sorgen lenken mich ab: Auf seinem Grundstück am Müggelsee liegt ein Fertigteilhäuschen, noch eingepackt. Er hat bisher keine Lust zum Aufstellen gehabt, besonders nachdem er begriffen hat, wieviel Zeit er dafür aufwenden müßte.

Lydia stimmt ihm zu: Sie wollen doch ihre kurzen Aufenthalte in der Heimat nicht damit zubringen, die Datsche aufzubauen und ständig zu verschönern; sie wollen sich keinesfalls in die Schar der unzähligen kleinbürgerlichen Schrebergartenbesitzer einreihen. Der Kauf sei die Folge einer sentimentalen Anwandlung gewesen, gibt Oskar zu.

Beate nickt zufrieden und horcht in Richtung Badezimmer, wo Götz lärmt und pfeift. Schnell bringt sie das Gespräch aufs chinesische Horoskop. Es erscheine ihr jetzt (zum Jahreswechsel) höchst passend, sich mit der Zukunft zu beschäftigen. Außer unser aller Freund, dem Plan, und der Planerfüllung gebe es ja noch die Sterne. Also in chinesischer Einschätzung sei er ein Schwein, sagt sie, was Oskar geschmeichelt aufnimmt.

Ich betrachte ihn genau: Er verbirgt sich hinter keiner Maske, seine vergangenen Leiden liegen noch immer bloß. Schweine mag er, sagt Oskar, weil sie feinfühlig sind und ein moralisches Empfinden haben. Fast erraten.

(Die Berliner Entscheidung, Residenz Verlag, 1984)

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