Donnerstag, 6. Dezember 2012

DB-040 (16) (Gleich geht es weiter)

Gleich geht es weiter mit einem: Zur Abwechslung mal ein Liedchen? Das Lied vom Bruno? Vorher hält er sich kurz seine Armbanduhr vor die Augen und brummt beruhigend: Das kriegen wir schon hin.

Dann legt er los. Bemüht um ironisierenden Vortrag, läßt er zwischendurch bewußt einen falschen Ton zu und klatscht sich zugleich auf die Schenkel. Bruno, ein Schulkollege, der hat schon Marx gelesen, wie die andern noch Mickey Mouse als die letzte Offenbarung empfunden haben. Für sie ist der Bruno natürlich der Starke, der Mutige gewesen, weil er immer geradewegs herausgesagt hat, was in seinem Kopf vorgegangen ist, auch wenn es zu seinem Nachteil war.

Nach dem Abitur hat er Philosophie studiert, und der Sänger hat ihn nur mehr selten gesehen, wobei er immer sehr abgespannt und schläfrig gewirkt hat. Seine Studienkollegen haben ihn eindeutig für einen Spinner gehalten, für einen, der nicht richtig tickt und immer nur Schnee quatscht.

Als dann der Fahrer zur Armee muß, erfährt er bald, daß man den Bruno von der Uni geschmissen hat. Er verliert ihn einige Zeit aus den Augen, weil er Hilfsarbeiter in der Chemie wird.

Als er ihn dann einmal zufällig trifft, beharrt der Bruno auf der Richtigkeit seines Lebensweges: Er wolle weder eine Datsche noch strebe er irgendwelche Pöstchen an; und son Zeugs wie Orden, die kotzten ihn an. Er wolle einfach leben, weshalb er sich auch auf keinen fixen Job einlasse, einmal Kellner, dann Filmstatist oder Totengräber sei: Erst jetzt bekomme er eine kleine Ahnung vom Leben.

Schließlich gibts Hiebe für ihn, grinst der Blonde. Er sei etabliert, wirft ihm Bruno vor, irgend etwas habe ihn korrumpiert, er sei wie die meisten anderen geworden, weshalb es gar keine Tragödie sei, daß er seinen Namen längst vergessen habe.

Der Fahrer bricht ab, steigt auf die Bremse, biegt nach rechts ein und hält direkt vorm Deutschen Theater. Sie sehen ja, wie korrumpiert ich bin. Er drückt die rechte Vordertür von innen auf, Julia kippt den Sitz nach vorn, steigt aus und läuft zum Eingang.

Stefan erwischt im Aussteigen einen Zwanziger und einen Fünfziger, österreichisches Geld. Devisen? Schenken Sie mir, was Sie wollen, antwortet der Mann im Auto, Gas gebend. Stefan legt noch einen Zwanziger dazu und drückt ihm die Scheine in die Hand.

Im Foyer winkt Julia, die bereits den Mantel abgelegt hat, aufgeregt mit zwei Karten. Als Stefan bei ihr stehenbleiben will, deutet sie auf die wenigen Besucher, die noch eingelassen werden wollen. Wir haben keinen Grund zu so einem Schiß wie der Typ. Trotzdem zischen wir jetzt gleich da rein. Stefan ergreift die Gelegenheit, sie an der Hüfte sanft in Richtung Schwitzbad zu schieben.

(Die Berliner Entscheidung, Residenz Verlag, 1984)

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„...Dies ist der Versuch eines komprimierten Familienromans, zugleich ein Reisebericht, der an einen Ort führt, wo die Kriegsschäden an den Menschen und deren Behausungen noch unverhüllt sichtbar sind. Lena und Stefan, von den gegensätzlichen Seiten der Geschichte kommend, unternehmen, sich zwischen Überlebenden und deren Nachkommen bewegend, einen Versöhnungsversuch...“ (Klappentext)

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