Freitag, 13. Januar 2012

O-17 NACHTGESTALTEN

wie es nicht mehr auftaucht. Wie es mich
anstrengt, daran zu denken, daß es vorbei ist.
Wie ich lächle, weil ich glaubte, es wär ganz leicht
wiederzubeleben, wenn ich nur daran dächte.

Wie sich dann doch einige Gesichter herausschälen,
von denen ich nicht weiß, welche Rolle
sie in dieser Nacht spielten. Ich weiß: Mein Kopf
schmerzt. Nachtgestalten verstrahlten

Schmerz in meinen Schlaf. Vielleicht nur Autos,
die mich durchkreuzten. Darunter eines,
das auf ein anderes auffuhr. Sah harmlos aus:
kurzes Krachen, ein wenig zerdelltes Blech.

Und Männer, die einander nicht kannten.
Genau dieser Punkt, genau diese schmerzhafte Stelle.
Ohne Schmerz fährt nichts. Nachts, auf dem Weg
zum Flughafen, bei Regen, zu schnell, was heißt:

jäher Stopp, Abbruch. Zwei gestikulierten,
ein Schwarzer, ein Weißer. Und irgendwann
genau der mit einem schwarzen Kind
an der Kittelfalte, in einer Halle.

Später, nicht in dieser Nacht, nicht mehr da,
in der Stadt, sondern irgendwo an der Nordsee,
vier, fünf völlig Verschlafene,
vielleicht nur Abspaltungen des Ich,

frühere Gesichter, auf einer dämmrigen Fläche.
Etwas heller, dahinter, das Meer, ganz flach,
dunkel. Morgengrauen, Aufwachen.
Irgendwann Züngeln, Knattern, Qualm, ein Feuer.

Wie es brennt, wie Benzin ums Auto leckt,
ein Streichholz fliegt, wie Blechteile fliegen.
Wie man lacht, einander in die Wangen kneifend,
auf die Schultern klopfend vor dem Brennen.

Dunkler Rauch vor dem mondhellen Prospekt.
Auto am Meer abgefackelt, Täter, die lachen,
nun allein und klein dastehn, mir innigst
ans Herz gehn, mich drangsalieren.

Wie sie nicht mehr auftauchen. Wie es mich
anstrengt, daran zu denken, es könnte vorbei sein.
Wie ich lächle, weil ich glaubte, das alles
wäre ganz leicht wiederzubeleben, wenn ich

nur daran dächte. Wie ich über die Folgen nachsinne:
zu Fuß durch die kotige schrundige Gegend. Oder
einfach auf irgendwelche Schiffe hoffen,
am Küstenstrich, die Stadt verfluchend, keine Rückkehr

im Kopf. Sich vollaufen lassen, aneinander-
gekuschelt warten: bis die Sonne aufgeht,
wieder untergeht. Diese Lebenslakonie, die nicht fragt.
Warum ich nur diese Szene aufgeklaubt hab.

Wohin ich sie mitnehm. Und wie ich sie je
wieder loswerde. Genau über der linken
Augenbraue der Schmerz. Kein einziger Schnitt hier,
kein Piercing, nur einzelne Büschel, Resthaare

(Donnerstag, 6.1.2000, 8.30 Uhr)

(Erschienen in: Obachter, Edition Korrespondenzen, 2007)

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