Donnerstag, 19. Januar 2012

O-20 JT

müßte ja mit unrechten Dingen zugehn,
wenn dein Blick wiederkehrte, dein Schnipsen
über den gierig schnappenden Karpfen-
mündern unter der Brücke, inmitten von

Möwen, Krähen und darunter kein
gewöhnlicher Teich, sondern Rußland,
Astrachan, das Kaspische Meer,
so blau wie ausgedruckt. Konsomolzin,

Caritas-Helferin, die du warst auf Geheiß des Bruders:
verschwindest hinter Glasscheiben
hast schon Sätze, die neuesten,
für deine Eltern, die täglich zurückschreiben:

du antwortest prompt, gewissenhaft, tanzt
den Reigen deiner Unsicherheitsskrupel
bravourös, lädst dich schon auf,
während wir noch durch den Donaupark streifen,

geblendet vom falschen Frühling, der künftigen
Moral der Geschichte, die uns schon jetzt
bedrängt als Stufenleiter falscher Entscheidungen.
Sinkst mit dem Kopf auf dein Buch, öffnest

die Augen mit trübem Blick, ohne den Traum
zu verraten vom Mann, der schnell die Tafel löscht,
sich aber umdreht ohne seinen Text,
dich brenntraurig anstarrt:

schlägst Kapital daraus, auch aus meiner
hoffnungsvollen Anwesenheit, die vielleicht
eine ganz andere meint, keine Spielerin,
keine Rubel-Flüchtige, die ihr Kind zurückläßt,

auch keine, die von überall aufgelesenen
Ermunterungen lebt zu Schritten nach vorn:
Du weichst nicht zurück, widerstehst
dem zärtlichen Blick deines Bewachers,

jedweder konjunktivischer Tätigkeit
hinter meinem Horizont: bleibst in Trance
die mich einlullt, als wär ich der Gelähmte,
den du in seine Badewanne hochhievst allmorgendlich

(Montag, 7.02.2000, 0.30 Uhr)

(Erschienen in: Obachter, Edition Korrespondenzen, 2007.)

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