O-21 NULLVERSTAND
sofort versiegt, am Anrufbeantworter:
Nullverstand, völlig klar, schlugst jede Warnung
in den Wind. Blicklos sahst du herum,
begriffst überhaupt nichts. Ist dir alles egal,
geisterst du nur am Strick deines Mannes,
der Eltern, eines Gotts, der im Ausland dahinstirbt?
Ich mißachtete dich für deine schlampige Art,
mit Angst umzugehn, innerem Aufruhr,
mit Gelegenheiten zum Ausbruch, besserem
Spracherwerb. Stand plötzlich vor dir,
schon Tage hinter dir her, vergeblich,
die wenigen Schritte reichten nicht. Abrupt weg,
und dich dann einfach vor mich hingestellt.
Welche Fragen verbargst du hinter den Armen,
wie zufällig über deinen Brüsten verschränkt,
in der flüchtigen Abwärtsbewegung entlang
der Mantellinie, dem gestoppten Anfassen:
deine Hand schlapp, kalt, meine gedopt von der
monatelangen Erwartung, herausgerissen
aus dem Vergessen? Überließ dich der Herde
Studenten, die dich den Gehsteig hinaufschwemmten.
Du holtest Geld aus dem Bank, von zu Hause,
von allen Seiten, für ein Bad in Ersatzluxus,
anscheinend keine Sünde, wenn Angetraute, Verwandte
all das ersetzten, schnellstens, was zwischen Seufzern zerrann.
Jetzt hätte ich noch gern etwas Deutliches gesagt,
dich zurückholend in meine verbissene Projektion:
ich weiß, ich kann nicht auf Vergebung hoffen, Lust, maximale,
je nach Ansturm der Möglichkeiten. Ich geb mir sicher
noch eine Chance, Ausgleich für mein Versagen: bist ja
zugleich auch verständig, und klug, so anders schön
(Montag, 25.09.2000, 17.20)
(Erschienen in: Obachter, Edition Korrespondenzen, 2007.)