EU-23 EMPATHIE (RUTLAND GATE)
denn hinter diesem Holz-Ungetüm
ist keine Mauer. Nachts,
wenn ich das Licht ausmach, und du bist da,
kann ich in den Ritzen etwas Schmales,
flüchtig Helles sehn, einen verhuschten Fleck,
wenn ich den Kopf hin- und herschwenk.
Der Boden schwingt leicht mit, wenn du gehst,
auch das Bett. Deines muß in der Ecke stehn,
links, mit der Schmalseite zum Klo hin.
Du hast sehr wenig Platz, nur ein paar Schritte
zwischen Bett und Kastenfront.
Aus dem Spalt unter der Tür seh ich jetzt
vom Gang her Licht. Dein Fenster
muß offen sein, der Luftzug
weht beharrlich alle meine Blätter vom Tisch.
Ins Bad gehst du schnurstracks nach links.
Willst es mit dem Riegelchen verschließen,
es sperrt nicht gleich. Auf dem Badewannenrand
find ich dann mein Shampo umgekippt, fast leer.
Das Handtuch bis zur Hälfte triefnaß.
Jetzt ist es beängstigend still bei dir.
Durch die Ritzen ist nichts zu erkennen.
Vielleicht liegst du nur flach auf dem Bett,
mit dem Kopf tief im Polster,
im Grübeln über deine Musik.
Noch ist es nicht Abend. Doch
die ganze Zeit denke ich an den heutigen Abend.
Du wirst spielen, selbst dirigieren.
Ich werde dich nicht aus den Augen lassen können am Pult,
mich dabei weiter enttraumatisieren
(Donnerstag, 12.07.2001, 11.50 Uhr, London)
(Erschienen in Eurotunnel, Literaturedition Niederösterreich, 2005)